Darf man nie verbieten

Bettina Wegner 65

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn einem zu Bettina Wegner zuallererst ihr Lied »Kinder (Sind so kleine Hände)« einfällt und dann eine Weile nichts weiter, ist das zwar schade, aber es ist viel. Denn in diesem kleinen Lied, mit starker, heller Stimme zur Gitarre gesungen, nichts weiter, sind die vielen Lieder, die Bettina Wegner noch schrieb und sang, schon enthalten. Kein Hit, ein Credo: »Sind so schöne Münder, sprechen alles aus/ Darf man nie verbieten, kommt sonst nichts mehr raus«. Die Wahrheit des unerschrockenen Kindermunds zu verteidigen sowohl gegen die Angst der allzu Stillen, als auch gegen die einschüchternde Gewalt der allzu Lauten - wenn man die Haltung auf einen Punkt bringen kann, der diese Sängerin ihr Leben und ihre Kunst verschrieben hat, dann wohl auf diesen.

Bettina Wegners Lieder (»Traurig bin ich sowieso«, »Über Gebote«, »Wenn alle Menschen«, »Fleißig, reichlich, glücklich« u.v.m.) berühren tief, weil sich in ihnen die Melancholie mit der Wut, die Sanftmut mit der Entschlossenheit auf seltene Weise verbünden. Dass in so vielen von ihnen das Wort »ich« vorkommt, ist leicht erklärt: Ohne dies »Ich« wäre der unbeugsame Wille, sich selbst die Treue zu halten, absurd.

Bettina Wegner, Kommunistenkind, kam früh mit ihren Eltern aus West-Berlin in den Osten. Den 1966 mitbegründeten Hootenanny-Klub verließ sie bald wieder, weil er das Versprechen, jedem Wort eine Bühne zu geben, nicht hielt. Von der Schauspielschule ging sie 1968 nicht freiwillig: »staatsfeindliche Hetze« (für den Prager Frühling), Verurteilung, »Bewährung in der Produktion«. In derselben DDR war es ihr anschließend möglich, das Abitur nachzuholen und sich zur Sängerin ausbilden zu lassen.

Mit Klaus Schlesinger, zwölf Jahre ihr Ehemann, hob sie die Veranstaltungsreihen »Eintopp« und »Kramladen« aus der Taufe. Nachdem sie 1976 gegen Biermanns Ausbürgerung protestiert hatte, konnte sie nur noch heimlich oder in Kirchen auftreten. Im Westen durfte sie singen. Ihre erste LP »Sind so kleine Hände« erschien 1979 »drüben«. 1983 zog Bettina Wegner ihre eigene Ausbürgerung einer drohenden Gefängnisstrafe vor (»Verdacht auf Zoll- und Devisenvergehen«) und zog - berlinernd bis heute - wieder in den Westen der Stadt. Dort, in der Waldbühne, hatte sie zuvor mit Joan Baez vor 16 000 ihren größten Auftritt. Seit den 90ern tourte sie mit dem Trio L’art de passage, dem Gitarristen El Alemán und Karsten Troyke. Weiter trat sie auf gegen Ausgrenzung, Zensur, Militanz.

»Wasserpredigt - Weingelage, so stehn die Gesetze/ Und wer heut Moral noch fordert, ruft schon auf zur Hetze«, sang Bettina Wegner. 2007 gab sie ihre Abschiedstournee. »Sie hat sich aber vorbehalten, aus besonderem Anlass doch hin und wieder öffentlich zu singen«, steht auf ihrer Homepage - Termine leider nicht. Am Sonntag wird sie 65.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal