Kein Ort. Nirgends. Nicht mehr

Peter Hacks und die Utopie - eine wissenschaftliche Tagung

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Utopien und Utopiebegriff im Schaffen des Dichters Peter Hacks (1928-2003) waren am Sonnabend Gegenstand von sieben Referaten und einer Podiumsdiskussion. Die Peter-Hacks-Gesellschaft hatte zu ihrer fünften wissenschaftlichen Tagung ins Berliner Magnus-Haus geladen.

Ästhetische und politische Programmatik dieses Dichters sind verschmolzen wie die Seiten der Medaille, die bekanntlich eine Kugel ist. Hacks, der sich als Klassiker und Kommunist verstand, verstand sich als beides in einem; er war ja nicht schizophren. Die wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Dramen, Gedichte, Prosa und Essays, deren aktuellsten Ergebnissen die Tagung ein Podium bietet, sei daher zu verknüpfen mit Fragen nach deren gesellschaftspolitischer Wirkung, betonte eingangs Philipp Dyck, der Vorsitzende der Hacks-Gesellschaft.

Um es anders zu sagen: Diese Tagungen sind wissenschaftlich insofern, als Hacksologen hier saubere Analysen vortragen. Sie sind politisch, weil Hacksianer in den klugen, heiteren und schönen Werken ihres Idols zwar ästhetische Befriedigung suchen, aber eben auch Antworten auf die »brennenden Fragen nach der Zukunft des menschlichen Zusammenlebens« (Dyck). Hacksologen und Hacksianer sind manchmal, aber nicht immer, identisch.

Hacks selber hatte das Problem, dass er von den Gegenständen, mit denen er sich befasste, mehr verstand, und die Kunst, die er machte, besser machte als die meisten. Das Spannungsfeld zwischen Wirklichem und Wünschenswertem, um auf die Utopie zu kommen, war für ihn kleiner als für normal Begabte. Das nahmen und nehmen ihm manche übel. Utopist, als Schimpfwort verstanden, kann auch heißen: Was du da denkst, mag schön klingen, ist aber unmöglich - für mich.

Als der real existierende Sozialismus erledigt war, erklärte Hacks auch die Utopie für erledigt. Es komme nichts dabei heraus »als Peinliches«. Mit einer utopiengeschichtlichen Widerrede auf dieses Verdikt, fokussiert auf die gegensätzlichen Utopie-Konzepte von Thomas Morus (Utopie als Notwendigkeit vor der Katastrophe) und Francis Bacon (Utopie als Ziel der Optimierung des Bestehenden), eröffnete Dieter Kraft die Tagung. Sodann arbeitete Felix Bar-tels Unschärfen in der Verwendung der Begriffe Utopie und Ideal heraus, um festzustellen, dass ein Ideal, vornehmlich jenes der Objektivität, Sinn und Ziel des Kunstprozesses bei Hacks gewesen ist. Er habe dieses Ideal »nicht nur behauptet, sondern durch Schönheit erfahrbar gemacht«. Detlef Kannapin zielte anschließend auf des Dichters Staats-Ideal: Hacks habe das Absterben des Staates (wie Lenin) nicht durch dessen Schwächung, sondern durch dessen Vervollkommnung erstrebt. Leider, so Kannapin, sahen die »Staatszerstörer« (untere Bürokraten und Intellektuelle) in der DDR das anders.

Mit dem Vortrag von Leonore Krenzlin über die realpolitischen Entstehungshintergründe des Produktionsstücks »Die Sorgen und die Macht« begann der werkgeschichtliche und -analytische Teil. Utopisch war dieses 1958 begonnene Stück schon insofern, als es den Bitterfelder Weg und Ulbrichts Neues Ökonomisches System gleichermaßen vorwegnahm. Dass Utopie sich auch in die Vergangenheit wenden kann, belegte unausgesprochen Jens Merles feinsinnige Analyse des Nachwendegedichts »Vaterland«, einer komischen Elegie an die DDR. Darin reimt Hacks: »Wer kann die Pyramiden überstrahlen?/ Den Kreml, Sanssouci, Versailles, den Tower?/ Von allen Schlössern, Burgen, Kathedralen/ Der Erdenwunder schönstes war die Mauer.« U-topos: der Nicht-Ort. Hier aber: der Nicht-mehr-Ort. Die in grenzenlosem Nichts untergegangene DDR.

Ute Baum und Kai Köhler wandten sich schließlich ganz aus dem Werk heraus dem Wunder und dem utopischen Ausblick in den Enden diverser Hacks-Dramen zu. Erhellend Köhlers Bemerkung, dass Hacks, ein wahrer Meister der Exposition und der Durchführung, seine Stück-Ausgänge theoretisch »stiefmütterlich«, aber auch praktisch eher nachlässig behandelt habe. So klar er die Konflikte aufzureißen, die handelnden Personen nach ihrer Haltung zu charakterisieren, Komik und Tragik der Prozesse hervorzukehren wusste - wohin die Geschichte tatsächlich führt, verstand am Ende nicht einmal Peter Hacks.

Nächstes Jahr wäre er 85 geworden und ist dann zehn Jahre tot. Im Frühjahr 2013 erscheint im Aurora-Verlag ein Band mit allen Vorträgen der diesjährigen Tagung. Die kommende soll im Herbst dem Thema »Peter Hacks und die Klassik« gewidmet sein.

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