Firmengründung der anderen Art

Die Zahl der Frauen, die sich beruflich selbstständig machen, wächst - ein Beispiel aus Halle

  • Heidrun Böger, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.
In diesem Jahr werden nach Einschätzung des DIHK in Deutschland nicht einmal 400 000 neue Unternehmen entstehen - weniger als je zuvor seit 1990. Gleichzeitig wächst innerhalb dieser Zahl der Frauenanteil - Beobachtungen in Sachsen-Anhalt, wo im Rahmen der bundesweiten Gründerwoche derzeit über Förderprogramme informiert wird.

»Mit meiner Spezialisierung habe ich im Handwerk ein Alleinstellungsmerkmal«, erzählt Scarlett Herrmann. Ihre Firma in Halle ist an der Saale und Umgebung die erste Anlaufstelle für barrierefreies Wohnen. Anfang 2009 gründete sie die Scarlett GmbH Lebensgerechte Möbel Ergo- und Rehatechnik. Die Firma existierte bereits seit längerem, neu ist die GmbH-Form. Der Service, den Scarlett Herrmann anbietet, macht das Leben leichter, aber er ist auch eng verknüpft mit persönlichen Schicksalsschlägen. »Wenn jemand nach einem Unfall beispielsweise plötzlich auf einen Rollstuhl angewiesen ist, müssen häufig große Teile der Wohnung barrierefrei umgebaut werden. Ich biete hier Gesamtlösungen aus einer Hand an, die von der Planung bis zur kompletten Abwicklung alles abdecken«, so die Mittvierzigerin.

Scarlett Herrmann verkörpert einen neuen Trend bei den Unternehmensgründungen: Die Zahl der Frauen, die sich selbstständig machen, wächst. Und derzeit erfolgt jede dritte dieser Unternehmensgründungen durch Frauen zwischen 45 und 54 Jahren. Deren Chancen sind oft groß durch das Know-how, das sie durch ihre Lebenserfahrung mitbringen. Insgesamt hat der Anteil an selbstständigen Frauen in Deutschland mit 31,7 Prozent im Jahre 2011 laut Mikrozensus einen neuen Höchstwert erreicht.

Bundesweites Netzwerk

Beraten werden die Frauen oft von der bundesweit tätigen Grün- derinnenagentur, die von drei Bundesministerien initiiert wurde und europaweit einmalig ist. Die Agentur mit Hauptsitz in Stuttgart besitzt Repräsentanzen in ganz Deutschland. Das Expertinnen/Expertennetzwerk umfasst 1700 Profis aus den Bereichen Gründungsförderung und -beratung. Leiterin Iris Kronenbitter: »Beratung in der Region ist wichtig. Wenn es zum Beispiel in Görlitz eine Bankangestellte gibt, die für ungewöhnliche Ideen aufgeschlossen ist, weiß das unsere Expertin vor Ort.«

Beratung im Existenzgründungsbereich ist, so die Erfahrung von Iris Kronenbitter, oft auf Männer zugeschnitten. Doch Frauen gründen anders als Männer. Während für diese das Geldverdienen oft an erster Stelle steht, geht es bei den Frauen häufig um einen maßgeschneiderten Arbeitsplatz. Sie wollen eigene Ideen umsetzen, mehr Entscheidungsfreiheit haben, aber auch zeitlich flexibel sein. Denn oft müssen sie Erwerbstätigkeit und Familie unter einen Hut bringen. Eine selbstständige Altenpflegerin kann zum Beispiel eher mit dem kranken Kind zu Hause bleiben und dort zumindest den Bürokram erledigen als eine fest angestellte.

Die Hallenserin Herrmann kam quasi als Seiteneinsteigerin zu ihrem Geschäftsmodell. Als die studierte Chemikerin nach der Wende keine ihrer Qualifikation entsprechende Beschäftigung fand, schulte sie kurzerhand zur Bürokauffrau um und managte anschließend zwölf Jahre lang das Büro der Tischlerei, bei der ihr Mann Teilhaber war. »Als immer mal wieder Anfragen für barrierefreie Umbauten kamen, wurde ich hellhörig«, erzählt sie. Nach reiflicher Überlegung machte sie sich mit der Idee selbstständig und ist damit erfolgreich.

Iris Kronenbitter von der Gründerinnenagentur hat die Erfahrung gemacht, dass »viele Existenzgründungen von Frauen sich dadurch auszeichnen, dass die Unternehmerinnen sehr realistisch sind. Sie stellen Personal dann ein, wenn die Geschäftslage es zulässt und erfordert.« Solche Unternehmen hätten eine besonders gute Überlebenswahrscheinlichkeit, weil sie sich im Einklang mit der Entwicklung ihres jeweiligen Marktumfeldes bewegen. Dennoch gibt es natürlich auch Frauen, die scheitern. Die Ursachen dafür sind vielfältig und reichen von falscher Einschätzung der Marktlage über zu wenig Eigenkapital bis hin zu schweren Schicksalsschlägen wie Krankheit.

Frauen, die lange durch Kinderbetreuung ausgesetzt haben, wählen die Selbstständigkeit als Möglichkeit, wieder ins Berufsleben einzusteigen und sich einen Arbeitsplatz zu schaffen, der ihren persönlichen Vorstellungen entspricht. So starten rund 13 Prozent aller Unternehmensgründerinnen aus der Hausfrauentätigkeit heraus ins Geschäftsleben.

Kunden nach Wahl

Durch die Verschiebung der Alterspyramide ist die deutsche Wirtschaft verstärkt auf die unternehmerischen Aktivitäten von Frauen im mittleren Alter angewiesen. Dass das eine Win-Win-Situation sein kann, zeigt das Beispiel einer Lektorin, die mit Mitte 50 bei ihrem Verlag gekündigt hat. Jetzt, vier Jahre später, ist sie zufriedener mit ihrer Arbeit. Und vor allem kann sie sich ihre Kunden selbst aussuchen.

Informationen im Internet unter: www.existenzgruenderinnen.de

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