Steinbrück und die Erzieherin

Die Nominierung von Peer Steinbrück zum Kanzlerkandidaten sollte ein Befreiungsschlag werden für die SPD – inzwischen ist sie längst ein Imageproblem. Das ist noch die freundlichste Umschreibung. Deshalb wird nun am Image gearbeitet. Die Bundestagsdebatte am Freitag über das Betreuungsgeld gab eine Ahnung, wie das funktionieren soll. Um zu illustrieren, wie weltfremd und rückständig das Betreuungsgeld ist, verwies Steinbrück, von der SPD ans Rednerpult vorgeschickt, auf Alltagsbegegnungen. „Überall dort, wo ich hinkomme und wo ich die Möglichkeit habe, Gespräche zu führen mit alleinerziehenden Frauen, etwa gestern hier in Berlin, mit Erzieherinnen in einer Kindertagesstätte in meinem Wahlkreis, mit Sozialarbeiterinnen, mit Lehrerinnen oder Lehrern, auch mit jungen Eltern, insbesondere mit alleinerziehenden Frauen" – überall finde man das Betreuungsgeld falsch.

Die Koalitionsseite lachte ein bisschen bei Steinbrücks langer Aufzählung; das ließ er abtropfen, aber genau das ist der kitzlige Punkt: Im öffentlichen Bewusstsein hat sich Steinbrück als ein Mann eingeprägt, der ganz andere Gesprächspartner gewohnt ist. Am Schachtisch mit Helmut Schmidt, beim Edeltalk für 25 000 Euro, als Redner vor Finanzmanagern und Wirtschaftsanwälten … Dieses Bild muss Steinbrück erschüttern, sonst kann er seinen Wahlkampf gleich vergessen. Jüngste Umfragen, die ihm infolge seiner stattlichen Nebeneinkünfte spürbare Ansehensverluste attestieren, machen klar, wie schwer das wird. Aber er hat keine andere Chance.

Deshalb müssen Steinbrück und sein Wahlkampfstab in den nächsten Wochen und Monaten Bilder und Sätze finden, die sich einprägen und einen volksnahen Kandidaten vorführen. Das ähnelt der Quadratur des Kreises. Steinbrück fehlt das Kumpelhafte von Schröder, das Rumplige von Gabriel. Er hat nicht das Salbungsvolle von Steinmeier und schon gar nicht das Erdverbundene von Kraft. Das ist alles noch keine Frage politischer Inhalte, sondern des Erscheinungsbildes, aber so etwas spielt im Wahlkampf ja eine entscheidende Rolle.

Wir dürfen uns darauf gefasst machen, dass wir demnächst gehäuft Bilder zu sehen bekommen, auf denen Steinbrück Mütter tätschelt und Rentner herzt. Er muss menscheln, auch wenn es schwer fällt, er muss rührende Begebenheiten aus dem harten Alltag erzählen. Das alles soll ein Signal aussenden, das sagt: Ich bin einer von euch, ich rede mit euch, und zwar unentgeltlich, ich verstehe euch. Diese Überzeugungsarbeit muss schon in der eigenen Partei anfangen; denn selbst in der SPD nehmen ihm viele den Vertreter der kleinen Leute nicht ab. Ihm, der gern mit den Reichen und Verwöhnten verkehrt.

Steinbrück wird uns bis zur Bundestagswahl unablässig mit Berichten über seine Basiskontakte behelligen, mit Indizien für seine soziale Kompetenz. Marketingexperten werden sich um Konzepte dafür kümmern. Ob das etwas an seiner Politik ändert, ist eine ganz andere Frage.
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