Pollen und Parteitag

Chinesischer Bienenfleiß

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn der Mittagsschlaf im Fernsehen übertragen wird, nennt man ihn: Parteitag. Derzeit in der Großen Halle des Volkes in Peking: der 18. Parteitag der KP Chinas. Wer je im Leben an solchen Inszenierungen der geballten ideologischen Unbeirrbarkeit teilnahm, wird auf das chinesische Ereignis blicken wie auf ein zeitsperriges Wiedergängertum zwischen Unheimlichkeit und unfreiwilliger Komik.

Dass China, wie gleich zu Beginn des Kongresses festgezurrt, auf keinen Fall das politische Modell des Westens übernehmen werde, dies könnte auch im 21. Jahrhundert, im Jahrhundert nach Leninismus und Stalinismus, noch kühn klingen - auch angesichts der Demokratielähmungen in der kapitalistischen Welt oder angesichts der Folgen von Freiheit etwa in Russland: oligarchischen Wucherungen und unkontrollierten Abstürzen in den gesellschaftsfähigen Zynismus, vor allem bei jungen Leuten. Die chinesische Entschiedenheit klingt aber nicht kühn, sie klingt eher tollkühn: Man scheint weiter gewillt, per Produktivitätsfuror einen Kapitalismus ohne Demokratie zu entwickeln. Aber endgültig vorbei ist wohl, was Lenin 1921 in der »Prawda« träumte: »Es kommt die Zeit, da der Sozialismus, wo immer er Fuß fasst, als einzig erstrebenswerte Gesellschaft betrachtet wird, weil er die gerechte Gesellschaft einer revolutionären Avantgarde sein wird, die ein Volk zu dessen besten Möglichkeiten führt, wie keine Partei der bourgeoisen Liebedienerei es vermag.«

Die Unschuld dieser Hoffnung gibt es nicht mehr. Eine alles beherrschende Kaderpartei, die keine politische Kraft neben sich duldet, schreibt somit jenes System weiter, das aus einem einstigen revolutionären Sieg eine ewige Machtlegitimation ableitet; ein offenbar von der Geschichte selbst erteilter Auftrag. Was noch lange funktionieren mag, wenn man über eine Milliarde Menschen ernähren will, aber dies offenbar nicht kann, ohne sie zugleich zu züchtigen. Um überhaupt Regierbarkeit und Ordnung zu garantieren.

Es gehört aber zu den Tücken des Politischen, dass es zu Übersprungshandlungen tendiert. Politische Prozesse mit strategischer Verlässlichkeit zu panzern, misslingt nach bisheriger Erfahrung fast immer. Dogmen und Disziplin sind die roten Drogen, die das vergessen machen sollen, aber auch Chinas Kommunisten sind von einer immer drängender werdenden Kommunikations-Öffentlichkeit (21. Jahrhundert!) betroffen und so auch gezwungen worden, sich gegen Korruption und für Öffnungen im gesellschaftlichen Austausch auszusprechen. Dem derzeitigen Parteitag wird wohl eine rhetorische Forcierung dieses reformerischen Willens gelingen. Aufbauend auf vielen bereits vollzogenen, staatlich praktischen wie ideologischen, Aufweichungen - der Kompromiss mit den Entzauberungen der Ideale ist Staatsräson. Aber wirkliche Reformen können kaum erfolgreich sein ohne Grundneigung zum pluralen Denken, zur Gewähr von Meinungsfreiheit für Kritiker und von Menschenrechten für jene, die derzeit nur abhängige, nahezu versklavte Verschiebemasse für eine monströs-moderne wirtschaftliche Expansion sind. Dies in einer Situation, in der es immer weniger verfängt, dem Volk die Instrumente zu zeigen. Das Volk fragt zurück (530 Millionen Internet-Nutzer schaffen im Riesenreich ein stark wachsendes Miteinander über bislang unüberwindbare Provinzweiten hinweg!), Kritiker konfrontieren die Mächtigen immer kräftiger, unerschrockener mit einem Wort, das oben bislang nicht zum Sprachschatz zählte: Rechenschaft!

In Tibet haben sich vergangene Woche wieder Menschen öffentlich in Brand gesetzt. Bitterster Protest. Der stellvertretende Parteichef Tibets betonte in einem Interview die gebotene Unaufgeregtheit: »Die meisten Tibeter haben sich nicht selbst angezündet.« Das ist jener Zynismus der Macht, der den Obergenossen jüngst auch zur Ansicht getrieben hatte: »Diese Menschen folgen fremden Einflüsterungen.« Immer ist, wer der Einheitsmeinung widerspricht, ein Fremdgesteuerter; immer ist der Mensch, der nicht der Partei folgt, nicht bei sich selbst. Wie bringt man ihn zurück zum wahren Ich? Agitieren, inhaftieren, exekutieren? In solchem Kontext klingt der Satz, auf keinen Fall das westliche Modell zu übernehmen, nicht nur wie weitere Schwerstarbeit an der Utopie, sondern auch wie eine Drohung.

Alles wäre weniger problematisch, betonte ein System nicht fortwährend, es vollziehe den Schritt aus der Vorgeschichte der Menschheit in die wahre Geschichte. O-Ton aus der Military-Marionetten-Show im hermetisch abgeriegelten Kongress-Zirkus der Geschichtssieger: »Wir sind am Anfang und doch schon unbeirrbar auf der lichten Seite des schweren Kampfes um die soziale und politische Befreiung des Menschen.« Es kommen einem Liao Yiwu oder der inhaftierte Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo in den Sinn, all die Gedemütigten, Weggesperrten, Zensierten - auch deshalb, weil so ein Missverhältnis sich auftut zwischen der »unangreifbaren, so erfolgreichen Macht des Volkes« (wieder Parteitagston) und den offenkundig wenigen Störenfrieden. Warum dann aber so viel Polizei, so viel Pression?!

Es war Eric Hobsbawm, der schrieb: »Dissidenten stürzen keinen Staat, es ist eher ihre Überschätzung, die den ideologischen Apparat ins Nervenfieber treibt und ihn so zu einer Bloßstellung zwingt, die innerhalb des Systems zum einlenkenden Handeln zwingt. So hauptsächlich findet in sehr linear gestrickten Strukturen Wandel statt.«

Als der erwähnte Liao Yiwu im Oktober in seiner Rede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels sagte, China sei ökonomisch einladend vor allem für Schänder der Umwelt, nannte ihn Pekings Parteipresse einen »Giftsprüher«. Jetzt läuft Markus Imhoofs Dokumentarfilm »More than Honey« in den Kinos, ein erschütterndes Dokument über den Massenmord an den Bienen. Eine Szene aus China sprengt alles, was aus bisherigen fiktiven Horrorszenarien bekannt ist: Massen von Menschen, wie am Fließband, bestäuben mit langen Stangen Baumblüten, weil die Bienen, natürliche Überträger der Fruchtbarkeit, ausgerottet wurden. Wie unter Mao die Spatzen.

Bilder, die den Atem stocken lassen. Parteitag und Pollen: dort agierende Abstraktionen, hier die alles andere als schöne neue Welt. Schon jetzt: Zukunft, die noch ganz andere Monstrositäten aushecken wird, damit es - auch Chinas kapitalistisches Ziel unter roter Fahne! - wachstumsbewusst vorwärts geht. Mit Bienenfleiß. Für den wird in der Großen Halle des Volkes, wie bei fast jedem Parteitag der Welt, geschlafen, applaudiert, still gehalten. Und vielleicht auch still gehofft.

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