Die Mitte, die grüne, die linke

Anmerkungen zur Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Hannover

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 7 Min.

Sein Name fiel am Freitag auf der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen immer wieder: Crazy Horst. Seehofer diente vor allem Jürgen Trittin als Symbol einer gescheiterten Bundesregierung, ein oft irrlichternder CSU-Vorsitzender, der mit schwarz-gelbem Betreuungsgeld bis zur nächsten Landtagswahl gestützt werden muss. Seehofer revanchierte sich inzwischen und nannte den grünen Spitzenkandidaten und Fraktionschef via „Bild»-Zeitung das größte Hindernis für ein schwarz-grünes Bündnis. Das hätten die Wahlkampfstrategen der Grünen, die seit der Urwahl schwer darum bemüht sind, die schwarz-grüne CDU-Option im Mehrheitsarsenal - die vor allem von Journalisten als attraktiv angesehen und damit im Gespräch gehalten wird - aus dem öffentlichen Scheinwerferlicht zu ziehen, nicht besser planen können.

Die Grünen in Hannover: da erlebt man zumindest rhetorisch eine linke Partei. Cem Özdemir zum Beispiel, Vorsitzender mit Realo-Hintergrund, sprach davon, dass die Grünen „eine linke Partei« seien - und er ergänzte: „oder nennt es linke Mitte». Katrin Göring-Eckardt, die das angeblich neu-bürgerliche der Grünen personifiziert, strickte ihre Rede um Fragen der Sozialpolitik und gesellschaftlichen Öffnung. Und dann kam Jürgen Trittin, der zweifellos beste Redner unter den derzeit führenden Grünen, der Parteivorsitzende, dem in der Flügelbalance der linke Part zufällt - und der dem in seiner Rede jedenfalls gerecht wurde: höhere Steuern, Umverteilung, Energiewende, Gleichstellungspolitik - für all das, was Trittin den „grünen Wandel« nennt, gebe es inzwischen gesellschaftliche Mehrheiten.

Dann folgte der Kernsatz seiner Rede, sozusagen die Botschaft aus Hannover, die politische Ortszuweisung der Partei durch ihren unangefochten Frontmann Trittin: „Das ist die Mitte in Deutschland, es ist die grüne Mitte, es ist die linke Mitte.» Solche Selbstbeschreibungen werden links der Grünen nicht gern gehört. Wirklich links ist man schließlich immer nur selbst, und der Reinheitsgehalt des „Linksseins« der anderen wird, ja muss bestritten werden. Zudem ist nicht ganz von der Hand zu weisen, was Joachim Bischoff und Björn Radke im »Sozialismus« prognostizieren, dass »CDU und Grüne in einem gemeinsamen Regierungsprojekt die Stabilisierung der bedrohten gesellschaftlichen Mitte betreiben« könnten - die Orientierung auf die »Mitte« also eine schwarz-grüne Option offenhalten soll. Außerdem ist da noch die Erinnerung an einen »Mitte«-Begriff, den als neue die Sozialdemokratie für sich einst reklamierte, wobei der von Gerhard Schröder verfolgte Kurs vor allem in einem „neo» war - in seiner neoliberalen Ausprägung. Dann die Bundestagswahl 2009, ein neuer SPD-Anlauf, eine „linke Mitte« zu definieren.

Gabriels Rede, Brandts Antworten

Seinerzeit war es Sigmar Gabriel, der in seiner Rede auf Willy Brandt zurückkam: dessen „politische Mitte» war kein Ort, nichts, an das man sich anzupassen habe, um Wahlen zu gewinnen, sondern „die Deutungshoheit der Gesellschaft«. Die Mitte in der Bundesrepublik ist in diesem Verständnis keine Frage des Einkommens, der Sozialstruktur oder von Wertetraditionen. Sondern sie soll jene Mehrheit in der Bevölkerung bezeichnen, auf deren Interessen, Wünsche, Bedürfnisse eine Partei „die richtigen Fragen und die richtigen Antworten» bereithalten müsse. Michael Jäger hat das einmal eine aristotelische Definition der Mitte genannt: eine Idee, die «sein soll». Die Antworten der SPD der Brandt-Zeit, so Gabriel im November 2009 auf dem Scherben-Parteitag der Sozialdemokraten, „waren emanzipatorisch, aufklärerisch und damit eben links«. Also: linke Mitte, zu Brandts Zeiten spielte die Farbe Grün noch nicht so eine Rolle.

Wobei die Grünen in Hannover auch anders können: „Wir sind natürlich links und auch liberal», hat Jürgen Trittin am Freitag erklärt. Göring-Eckardt sprach vom guten, sozusagen bürgerlichen Benehmen, das die schwarz-gelbe Koalition verlernt habe, und reklamierte „Anstand, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit« für die Grünen. Und Özdemir sagte: „Wir sind wertkonservativ.» Bei so einem bunten Blumenstrauß der politischen Öffnung nach allen Seiten fällt einem ein, dass auch Spitzengrüne mit Blick auf andere Parteien gern einmal meinten: wer nach allen Seiten offen ist, sei nicht ganz dicht. Und wenn man so will, ist die „linke, grüne Mitte« wohl auch als Pfropfen gedacht, der das Leck der Beliebigkeit schließen soll - und ein Versuch, widersprüchliche Erfahrungen zu verarbeiten. In den urbanen Milieus von Berlin scheiterte eine Renate Künast, weil sie sich gegenüber der CDU offen zeigte. In den ländlichen Regionen Baden-Württembergs gewannen die Grünen, weil sie die bessere, die sozial und ökologisch verantwortlichere CDU waren.

Kleine Volkspartei mit fragmentierter Anhängerschaft

Gerade hat eine Umfrage ergeben, dass unter den Anhängern der Grünen gut die Hälfte der Meinung ist, die Partei würde langfristig am erfolgreichsten sein, wenn sie sich stärker Richtung Mitte orientiert - nur 13 Prozent der Grünen-Anhänger wünschen sich eine Kursverschiebung nach links. Die Entscheidung in eine Richtung würde der Partei am jeweils anderen Ende gewiss Potenziale abschneiden. Zumal, wenn sich die Grünen langfristig betrachtet zu einer sozial und politisch durchaus fragmentierten kleinen Volkspartei entwickeln, wie es das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung im vergangenen Jahr beschrieben hat: überproportionale Unterstützung bei jungen Menschen, dauerhafte Bindung von Millieus an die Partei, die in ihrer eigenen Biografie den Weg vom prekären in den besserverdienenden Status gehen und so weiter.

Die linke, grüne Mitte übrigens ist nichts brandneues. Über sie wurde bereits zur selben zeit diskutiert, als Sigmar Gabriel seine Dresdner Rede vorbereitete. Zur Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen im Oktober 2009, kurz nach der Bundestagswahl, ging es genau darum: die Grünen „als inhaltlich führende Kraft der linken Mitte» zu positionieren. „Bei sinkender Wahlbeteiligung sind Millionen Menschen in Deutschland auf der Suche nach Antworten die sie wieder mit ihrer konkreten Lebenswirklichkeit in Verbindung bringen können und sie suchen nach einer neuen politischen Heimat«, hieß es im seinerzeit verabschiedeten Leitantrag. Menschen, die mit den „ritualisierten Grabenkämpfe zwischen dem behäbigen selbst ernannten bürgerlichen Lager und den selbstzufriedenen Alt-Linken» nichts mehr anfangen könnten, eine „Mitte« eben, die als „linkes Bürgertum, bürgerliche Linke, Linksliberale» zu bezeichnen damals in einem grünen Thesenpapier vorgeschlagen wurde.

Linke Politik für die Mehrheit

Wo ist die Mitte? Und ist sie grün? Oder links? „Nichts ist in der Politik verlockender als sich im Streit über diese Begriffe zu verlieren und die bloße Begrifflichkeit jenseits von den damit verbundenen Inhalten zum Gegenstand heftiger Debatten zu machen«, beschlossen die Grünen vor drei Jahren. Im Wahlkampf 2013 werden sie versuchen, mit genau einer solchen Begrifflichkeit in den Debatten, die da kommen werden, zu punkten. Die Grünen haben 2009 in Rostock ein Dilemma formuliert: „Sprichst Du von Bürgertum, kannst Du nicht für eine linke, moderne Politik sein. Und umgekehrt: Sprichst Du von linker, emanzipatorischer Politik, kannst Du keine gesellschaftlichen Mehrheiten gewinnen.»

Das ist keineswegs eine „Scheindebatte«, wie es seinerzeit in dem oben genannten Parteitagsbeschluss heißt. Es ist ein real existierendes Kernproblem für jene Parteien, die für sich in Anspruch nehmen, Teil oder gar Antreiber eines Blocks der Veränderung zu sein. Deshalb sollten die Linkspartei und unbahängige Linke die Debatte über eine „linke, grüne Mitte» nicht denen kampflos überlassen, welche wie SPD und Grüne bereits demonstriert haben, dass sie in Regierungsverantwortung ihrem Begriff der „linken, grünen Mitte« gar nicht gerecht werden. Sie haben eben gerade nicht eine Politik gegen starke, aber partikulare Widerstände im Sinne der Bedürfnisse einer politischen schwachen Mehrheit durchgesetzt.

Diese Mehrheit, um beim Begriff zu bleiben, diese „linke, grüne Mitte» ist „Mehrheit an sich« aber eben keineswegs „Mehrheit für sich». Sie taucht oft als demoskopische Mehrheit auf: wenn zwei Drittel für einen schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan plädieren, wenn eine große Mehrheit den gesetzlichen Mindestlohn fordert, wenn über 60 Prozent sagen, in der real existierenden Demokratie kämen ihre Interessen nicht mehr zum Ausdruck. Diese Mehrheit sagt übrigens in Umfragen auch ziemlich deutlich, was vom Kapitalismus, was von radikalisierter Marktfreiheit zu halten ist. Was aber eben nicht automatisch heißt, dass sie dann auch Parteien wählt oder sich in Zusammenhängen engagiert, die den Anspruch verfolgen, Alternativen über diesen Kapitalismus hinaus Wirklichkeit werden zu lassen. Darum aber geht es.

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