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»Nichts würde von ihm übrigbleiben«
Michael Maar: Sein Roman »Die Betrogenen« entführt in abgehobene Literatenkreise
Vielleicht verkauften sie es ja als Schlüsselroman«, heißt es auf Seite 100 über einen Krimi aus dem Literatenmilieu. Mag mancher versuchen, auch Michael Maars Werk so zu lesen. Aber was sollte wirklich gewonnen sein, wenn man den verschiedenen Typen - Großschriftsteller, Essayist, Literaturagentin, alternde Lyrikerin, Musikgenie (ist Manteuffel überhaupt ein solches?), sehr alter Literaturprofessor, junger Schweizer Dramatiker in Schwarz etc. - irgendwelche Namen aus dem Literaturbetrieb zuordnen würde?
Michael Maar, Autor zahlreicher essayistischer Bücher (über Thomas Mann, Nabokov, Proust), dafür mit höchsten Preisen bedacht, kennt sie alle, diese Promis und hat wohl doch eher ein »Sammelbild« geschaffen, eine Milieustudie, für die er erstmals selber das Genre des Romans wählen musste. Musste? Weil anders nicht auszudrücken war, was er meinte.
Das Buch beginnt mit dem Begräbnis eines berühmten Verlegers und endet mit dem eines nicht weniger berühmten Schriftstellers. Arthur Bittner hat sich eine Biografie zu Lebzeiten gewünscht, die hätte sein literarisches Werk zu einem Bild für die Nachwelt verdichten können. Sein jüngerer Freund Karl Lorentz, aus dessen Sicht erzählt wird, hatte ihm offenbar eine solche Beschreibung von Leben und Schaffen versprochen, die er aber noch nicht einmal begonnen hat. Er schaut zu Bittner auf und inzwischen schon irgendwie herab. »Immer dieselben Stilfiguren, immer dieselben Geschraubtheiten ...«
Der Ältere vertraut ihm, weiht ihn in seine Gedanken und Zweifel ein. Immer wieder kommt der Tod darin vor. Bei ihrer letzten Begegnung offenbart er sich als gänzlich an der Welt verzweifelt. »Er hatte den Glauben an sein Werk verloren. Nichts würde von ihm übrigbleiben.« Karl Lorentz - als möglicher Biograf, als Freund - fragt indes diesem Leid nicht nach. Nicht weil er fühllos wäre, es fehlt ihm die Kraft für solchen Ernst, der die Regeln des Spiels verletzt.
Hat er nicht ebenfalls zu einer Manier gefunden, die nur er selber nicht bemerkt? Wahrscheinlich geht es ja allen Gestalten so, die in diesem Buch vorkommen: Sie verkörpern ihre Rolle, nicht mehr und nicht weniger. Veröffentlichen mal dies und das, sind auf das Echo der Kollegen gespannt (ein größeres Publikum zählt längst nicht mehr). Eine Kritik in der »Frankfurter Zeitung« kann ihnen den Tag verderben. Sie belauern und beneiden einander, pflegen ihre kleinen Affären und Verrätereien. Erst mussten sie sich anstrengen, um dazuzugehören, nun sind sie wie eingesperrt in einem engen Kreis. Nur der Tod wird sie da herausholen können.
»Die Betrogenen« hat Michael Maar seinen Roman genannt. Stimmt immer, jeder ist irgendwie in etwas betrogen, und sei es in einer Vorstellung, die er vom Leben hatte. Sollte damit aber besagter literarischer Kreis gemeint sein, so wird dessen Abgehobenheit beklagt, die man andererseits genießt. Das Wort »Inzucht« fiel mir beim Lesen ein, weil sie alle unablässig mit sich selbst beschäftigt sind. Jede Wahrnehmung erstarrt in der gelungenen Formulierung, jeder Weltgedanke hat vornehmlich den Zweck, damit zu glänzen.
Die Macht der Sprache, wird sie zu weit getrieben, betrügt uns um unmittelbare Erfahrung. So will es scheinen, aber zu überprüfen ist es nicht, denn geistige Welten lassen sich nicht vergleichen. Jeder muss in der seinen versuchen, irgendwie glücklich zu werden.
Der Nebel der Melancholie - kein Vorrecht der Künstlerexistenz. Aber der Sprachmächtige kann ihn sich ausmalen, schmerzhaft zu Bewusstsein bringen. Die eingeschränkte Wahrnehmung der Welt - jene in weniger privilegierten Berufen bemerken sie nur nicht. »Mit wie vielen Ahnungen lief man durchs Leben, und wie viel war doch völlig anders, als man es sich gedacht hatte! Ganz selten einmal öffnete sich ein Blick hinter den Vorhang, und man spürte einen Hauch vom wirklichen Treiben, das hieß vom Treiben der Wirklichkeit, von dem man durch sein rupfendichtes Ideengespinst sonst so gut abgeschirmt war.«
Michael Maar: Die Betrogenen. Roman. C.H.Beck. 143 S., geb., 16,95 €.
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