Mit der Klarheit kommt die Kälte

Thomas Bernhard: »Der Wahrheit auf der Spur«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Dieser Autor wusste, wie der Literaturbetrieb funktioniert. Er verachtete den obskuren Kampf um mediale Aufmerksamkeit und war doch meist der Erste, wenn es darum ging, einen neuen Skandal ins Ziel zu bringen. Der Österreich-Hass als Jungbrunnen! Heiner Müller äußerte sich über diese Art von Selbsterhitzung geradezu abfällig: »Er schreibt auf, was man so gesprächsweise als Unterhaltung akzeptieren kann, aber wenn es aufgeschrieben wird, ist es schon langweilig.«

Tatsächlich ist kaum ein stärkerer Kontrast als der zwischen Müller und Bernhard denkbar. Was bei Müller der Versuch ist, den Riss zwischen der Geschichte als Idee und ihrer Realität als Schlachtfeld zu beschreiben, wird bei Bernhard zu hitzig kreisender Beredsamkeit. Dem Narziss bleiben die eigenen Befindlichkeiten interessanter als alle geschichtlichen Umbrüche. Ist das ein Klischee? Wenn man es nicht um Facetten ergänzt, die zu Bernhard gehören, dann sicherlich.

Der Band »Der Wahrheit auf der Spur« versammelt nun Reden, Interviews und Feuilletons, die ihn anders zeigen: auch demütig, auch bewundernd, auch unsicher. So sagt der Dreiundzwanzigjährige 1954 in einer Rede zum 100. Geburtstag Arthur Rimbauds, man »veranstalte« den Dichter inmitten von so viel »Kunstmarktgerede, von dem nichts herauskommt als Schamlosigkeit«. Da ist die Szene ausgeleuchtet, der eigene Auftritt vorbereitet: Inmitten des Niedergangs sieht Bernhard sich auf verlorenem Posten, immer an der Seite des verachteten Genius.

Ein Spielfeld, in dem jedoch auch Bedeutendes gesagt wird, sowohl über Dichtung als auch über mediale Vernutzungsmechanik. Und Bernhard als Spielmeister immer mittendrin! »Es gibt Kränze und ›Kränzchen‹, und es entwickelt sich ein amüsantes Geschäft zwischen Weinlokal und Ministerium, solange, bis entweder der Akt des Dichters wieder verschwindet, oder man sich zu Herausgabe seines Werkes entschlossen hat.« Das ist nicht zynisch gesprochen, sondern eine immer noch allzu freundliche Beschreibung jenes herrschenden Zynismus, der in jedem Text nur eine Ware sieht.

Die ersten öffentlichen Auftritte Berhards Mitte der 50er Jahre sind sämtlich Huldigungen an große Autoren. Da rührt sich der Schmerz, die Erschütterung über das, was Kunst sein kann angesichts ihrer Einschrumpfung zum schönen Ornament, als fakultative Zugabe zum Wiener Opernball. Vor allem ist es Georg Trakl, der den sonst so Wortreichen stumm macht. Ein halbe Seite nur ist sein Statement lang, aber die hat es in sich. Dieser Dichter habe als einziger Lyriker Österreichs etwas zur modernen Dichtung beigetragen, »wahrscheinlich, weil er, wie wenige, verachten konnte und verachtet wurde - am penetrantesten von den Bürgern und Eselstreibern seiner Vaterstadt Salzburg. Der Einfluß Trakls auf meine eigene Arbeit war vernichtend. Hätte ich Trakl niemals kennengelernt, wäre ich heute weiter.«

Das scheint der Schlüssel für das paradoxe Zugleich von Selbsterhöhung und Selbsterniedrigung bei Bernhard. Was seine Feinde reflexartig Hybris nennen, resultiert aus einem Übermaß an Preisgabe des Intimen im Werk. Um sich dennoch verbergen zu können, zieht er sich weit in wortreiche Labyrinthe zurück. Wenn er nicht mehr schreiben könne, müsse er sich umbringen, notiert er. Aber auch Schreiben ist bei ihm eine Form von Selbstmord, wenn auch ein langsamer.

Das furchtbare Schicksal unserer wissenschaftlich vorbestimmten Existenz: »Wir sehen, wenn wir in die Natur hineinschauen, keine Gespenster mehr.« Was zweifellos ein Fortschritt ist. Jedoch: »Mit der Klarheit nimmt die Kälte zu.« Diese Dialektik füllt Bernhard im Folgenden mit lauter Empirie an. So sei er persönlich durchaus von Hochhuth begeistert, allerdings: »Es ist grauenhaft, was er schreibt.« Bei Peter Stein und Botho Strauß liegt für ihn der Fall ähnlich: Das sei kein Theater, sondern eine Kirche, »auf der er einen Altar baut und dann die Götterfiguren errichtet.« Und Botho Strauß sei »wie ein Ministrant vom Stein, und so schreibt er auch jetzt«. Trotzdem möge er ihn »unglaublich gern«. Da verwirrt sich, was als Klarheit antrat, schnell wieder - jedoch auf unterhaltsame Weise.

Thomas Bernhard: Der Wahrheit auf der Spur. Die öffentlichen Auftritte. Suhrkamp Taschenbuch. 346 S., geb., 19,90 €.

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