Wer bin ich? Und wenn ja, warum?

Wagner an der Scala

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.

Daniel Barenboim hat bekanntlich mehr als nur eine Schwäche für Wagners Musik. Er traut sich nicht nur, in Israel am Bannfluch zu rütteln, den der deutsche Komponist dort den Nazis zu »verdanken« hat. Er schafft es sogar, dass die Mailänder Scala die Saison des Verdi- und Wagner-Jahres 2013 nicht mit einem Werk des italienischen Hausgottes, sondern mit »Lohengrin« eröffnet.

Dass der Inaugurazione-Rummel damit sozusagen zu einer deutschen Angelegenheit wurde, brachte die Gemüter so in Wallung, dass sogar der Staatspräsident in einem Brief an Barenboim seine diesjährige Abwesenheit begründete. Obendrein vergaß der Musikchef der Scala dann auch noch, wie hier üblich, vorneweg die Nationalhymne zu spielen. Er reichte sie am Ende nach und verlängerte damit den Jubel.

Sein »Lohengrin« nun war schwungvoll, schmissig, jenseits von andächtig romantischem Zelebrieren, und Jonas Kaufmann war der Superstar mit vokalen Gralsqualitäten. Auch René Pape lieferte als König Heinrich höchsten Wagner-Standard ab, und Evelyn Herlitzius lehrte als Ortrud nicht nur Elsa das Fürchten. In dieser Rolle war in letzter Minute Annette Dasch eingesprungen, was zwar nicht stimmlich, aber szenisch ein Glückgriff war. Auch die übrigen Interpreten (Tómas Tómasson als Telramund, Zeljko Lucics als Herrufer), der Chor, natürlich das Orchester und Barenboim wurden bejubelt.

Selbst Claus Guth und sein Team kamen glimpflich davon. Der Regisseur hat sich von seinem Ausstatter Christian Schmidt eine Art Innenhof von einer Fassade mit durchgehenden Balkonen bauen lassen, und den, je nach Bedarf, mit Tisch, Kronleuchter, Klavier und etwas Vegetation (Baumstämme, Schilf) bestückt. Was Guth dann aber mit gewohnt psychologisierendem Ehrgeiz erzählt, kollidiert mit der Szene. Lohengrin ist hier kein strahlender Held, sondern ein ebenso traumatisiertes Opfer wie Elsa. Kein Schwan zieht ihn an Land. Er liegt plötzlich verkrümmt und verängstigt am Boden, nur einige Federn fliegen durch die Gegend. (Die Lichtershow steuerten die ungeniert blitzlichternden Opernbesucher spontan bei.)

Guth evoziert die Entstehungszeit (finstere Männer mit Zylindern, Uniformen für König und Heerrufer), lässt Kinderdouble der Protagonisten durch die Szene geistern, rückt Elsas Bruder und ihren Retter Lohengrin äußerlich (und damit in Elsas Vorstellung) dicht aneinander. Kaufmann und auch Dasch spielen ihre Traumatisierungen überzeugend. Doch das alles lässt mehr Fragen offen, als dass die Geschichte in ein neues Licht gerückt würde.

An die Thriller-Qualitäten der politischen Lohengrin-Interpretationen etwa von Andrea Moses (Dessau) und Tilmann Knabe (Mannheim) oder den kultigen Surrealismus von Hans Neuenfels in Bayreuth kommt Guths Lesart nicht heran. Und darüber, was das Klavier im Schilf an dem Teich zu suchen hat, in dem Elsa zuletzt ertrinkt, kann man lange nachdenken. Oder es lassen.

Für die Scala hat sich der Rummel gelohnt. Weltweite Übertragungen in Kinos und im Fernsehen. Und die schöne Illusion, dass Italien immer noch etwas mit Oper zu hat. Jedem Beleg über den Kulturverfall dortzulande zum Trotz.

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