Volkszählung in den Baumwipfeln

Studie: Artenvielfalt in Regenwäldern noch weit größer als bisher schon angenommen

  • Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 2 Min.
Tropische Urwälder gelten als Zentren der Artenvielfalt. Doch wie groß diese tatsächlich ist, war bislang nicht einmal für einen einzelnen Wald bekannt. Ein internationales Forschungsprojekt liefert nun erstmals genauere Zahlen.

Dass in tropischen Regenwäldern mehr los ist als in heimischen Kiefernplantagen, weiß inzwischen wohl jeder Fernsehgucker und so mancher Fernreisender auch aus eigener Erfahrung. Neben der ungeheuren Vielfalt an Pflanzenarten beeindrucken den Laien vor allem die exotischen Insekten und Spinnentiere, die dort vorkommen. Unangenehm auch die Vielzahl von Ameisen und blutsaugenden Insekten. Doch obwohl Biologen wenigstens seit Alexander von Humboldt versuchen, alles zu erfassen, was da kreucht und fleucht, gab es bis heute noch nicht mal für ein einziges Waldgebiet eine halbwegs komplette Übersicht der dort vorkommenden Gliederfüßer (siehe Lexikon), des artenreichsten Stammes im Tierreich.

Drei Jahre lang hatten 102 Forscher aus mehreren Ländern im San-Lorenzo-Nationalpark in Panama vom Boden bis in die Baumkronen nach Spinnen, Milben, Schmetterlingen, Käfern etc. gefahndet. Dazu nutzten sie u. a. Ballons, Krane und schlauchbootähnliche Plattformen, die auf den Baumkronen aufliegen. Zwischen 2003 und 2005 sammelten die Wissenschaftler auf 5000 Quadratmetern Wald fast 130 000 Gliederfüßer, deren Artzugehörigkeit in den folgenden sieben Jahren bestimmt wurde. Erstaunlicherweise, so Yves Basset vom federführenden Smithsonian Tropical Research Institute, fanden sich bereits auf einem Hektar Tropenwald 60 Prozent der in diesem Ökosystem heimischen Gliederfüßerarten.

Wie die Forscher in der US-Wissenschaftszeitschrift »Science« (Bd. 338, S. 1481) berichten, ließen sich die gesammelten Tiere 6000 Gliederfüßerarten zuordnen. Hochgerechnet auf die Gesamtfläche des 6000 Hektar großen Urwaldgebietes müssten dort ca. 25 000 Gliederfüßerarten vorkommen, erläutert der an dem Projekt beteiligte Biologe Jürgen Schmidl von der Universität Erlangen-Nürnberg. Schmidl verwies in einer Pressemitteilung seiner Uni auch darauf, dass im untersuchten Waldgebiet auf jede der knapp 1300 Pflanzenarten 17 bis 20 Gliederfüßerarten kommen und dass dort dreimal so viele Gliederfüßerarten wie Säugetierarten vorkommen.

Der Erlanger Biologe warnt vor Fehlschlüssen angesichts der großen Vielfalt schon in relativ kleinen Waldgebieten: »Wiewohl wir hier eine ungeheure Artenvielfalt auf nur einem Hektar Regenwald beobachten, würde es nicht etwa ausreichen, einen Hektar Regenwald zu schützen, um diese Diversität zu erhalten. Wie die Säugetiere brauchen auch die Gliederfüßer ein sogenanntes Minimalareal. Es muss also die gesamte Waldfläche für ihr Überleben erhalten bleiben.«

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