Ohrfeige für Orbán

Ungarns Verfassungsgericht erklärt Teile des neuen Wahlgesetzes für nichtig

  • Detlef D. Pries
  • Lesedauer: 2 Min.
Ungarns Verfassungsgericht hat Teile der von der nationalkonservativen Regierungsmehrheit beschlossenen Wahlrechtsreform für verfassungswidrig erklärt. Eine Ohrfeige für Ministerpräsident Viktor Orbán.

Kraft ihrer Zweidrittelmehrheit im Parlament hatte Ungarns Regierungspartei FIDESZ neben anderen Wahlrechtsänderungen beschlossen, dass sich jeder Wahlteilnehmer spätestens zwei Wochen vor der Abstimmung persönlich im Gemeindeamt anmelden müsse. Andernfalls sollte ihm das Recht zur Stimmabgabe verwehrt bleiben. Dem Bürger werde dadurch »mehr Verantwortung« übertragen, sich zu seinem »demokratischen Recht« zu bekennen, hieß es zur Begründung. Ungarns Opposition dagegen sah in der neuen Vorschrift einen weiteren Versuch Viktor Orbáns und seiner Partei, ihre Regierungszeit zu verlängern: Bis zuletzt unentschiedene Wähler würden daran gehindert, kurz entschlossen doch noch gegen die Regierung zu stimmen. Befürchtet wurde auch, dass viele Roma den bürokratischen Aufwand scheuen oder die Registrierung aus Unwissenheit versäumen würden.

Sogar der konservative Altpräsident László Sólyom, früher selbst Verfassungsrichter, beklagte eine »Aushebelung der Verfassung«, denn darin werde das Volk, nicht der registrierte Wähler zum Souverän erklärt.

Die Verfassungsrichter, vom gegenwärtigen Präsidenten János Áder Anfang Dezember zur Prüfung des Gesetzes aufgerufen, sahen das offenbar ebenso. »Die Registrierungspflicht schränkt das Wahlrecht auf unbegründete Weise ein«, befanden sie auf einer öffentlichen Sitzung am Freitag in Budapest. Eine schallende Ohrfeige für den Regierungschef zweifellos. Andererseits wird Orbán seine Kritiker darauf verweisen können, dass die Gewaltenteilung in Ungarn unter seiner Regierung eben doch funktioniert. Gegner werfen dem Regierungschef vor, eine Alleinherrschaft unter Missachtung demokratischer Spielregeln zu praktizieren.

Abzuwarten bleibt, in welcher Weise das Wahlrecht nach dem Spruch des Verfassungsgerichts geändert wird. Zu den Regelungen, die nach Ansicht der Opposition die Regierungspartei begünstigen, gehörten neben der Registrierungspflicht auch Beschränkungen für Wahlwerbung, das Wahlrecht für Auslandsungarn, die nie im Lande gelebt haben, und der Zuschnitt der neuen Wahlkreise. Ungarns Parlament soll nach den Wahlen im Frühjahr 2014 von 386 auf 200 Sitze schrumpfen. Befürchtet wird, dass die vom Gericht beanstandeten Passagen nur umformuliert werden, ohne dass sich am Wesen des Gesetzes etwas ändert. Wenigstens erklärte FIDESZ-Fraktionschef Antal Rogán unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils: »2014 wird es keine Wählerregistrierung geben.«

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