Wölfe terrorisieren Jakutien

Regierung lobt Abschussprämien für die Tiere aus, die unzählige Pferde und Rentiere reißen

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Gouverneur von Jakutien, Jegor Borissow, hat den Notstand ausgerufen. Die nationale Teilrepublik in Nordostsibirien wird von Wölfen terrorisiert. Am 15. Januar soll der Startschuss für eine dreimonatige flächendeckende Treibjagd fallen. Damit soll der Wolfsbestand von 3500 auf maximal 500 dezimiert werden. Wird das Planziel nicht erreicht, sollen die Wölfe das ganze Jahr über zum Abschuss freigegeben werden. Um den Eifer der Jäger anzuspornen, hat der Gouverneur Abschussprämien zugesagt. Deren genaue Höhe ist derzeit noch Staatsgeheimnis, die Agentur Interfax sprach unter Berufung auf Insider jedoch von einem sechsstelligen Rubelbetrag, das wären mindestens 2500 Euro. Um Betrug zu vermeiden, muss der Jäger die Trophäe abliefern: Das Fell des erlegten Wolfes.

Zwar herrschen in Jakutien, wo sich auch der Kältepol er Erde befindet, derzeit Fröste von bis zu minus 50 Grad. Nicht unbedingt ideales Jagdwetter. Doch aus Sicht der Einwohner wird es höchste Zeit, dem grauen Räuber das Handwerk zu legen. Die Wölfe sollen allein in diesem Jahr schon hunderte Pferde und tausende Rentiere gerissen haben. Diese, nur halb domestiziert, verstreuen sich beim Suchen nach Futter weit über das Gelände. Die aus Hunderten Tieren bestehenden Herden werden nur von wenigen Menschen beaufsichtigt und sind daher ein gefundenes Fressen für die Wölfe. Diese greifen meist im Schutze der Dunkelheit an. Derzeit dauert der Polartag in Nord- und Zentraljakutien mal gerade zwei, drei Stunden.

Die Wölfe greifen meist in Rudeln an. Dazu kommt, dass vor allem die Arktis-Wölfe - hohe stämmige Tiere mit hellgrauem Fell, vor denen so mancher Hirtenhund den Schwanz einzieht - den Rentieren an Schnelligkeit mindestens ebenbürtig sind. Wenn deren Hufe bei Winterausgang in den verharschten, angetauten Schnee einsacken, sogar überlegen.

Bisher regten sich daher nicht einmal Tierschützer über den geplanten Feldzug gegen den Wolf auf. Zumal russische Medien schon in den letzten beiden Wintern voll waren mit Horrorgeschichten. Denn Jakutien ist der ideale Biotop für den Wolf. Vom nördlichen Eismeer bis fast an die Grenze zu China dehnt sich die Region. Doch auf einer Fläche von über drei Millionen Quadratkilometern - meist Dauerfrostboden - leben weniger als eine Million Menschen: knapp die Hälfte sind die zum Nordostzweig der türkischen Völkerfamilie gehörenden Jakuten, der Rest Russen und kleine Völker des Hohen Norden. Bis zur nächsten Siedlung sind es oft hunderte Kilometer, auf denen Isegrim kein Zweibeiner in die Quere kommt. Wenn doch, wird es kritisch.

So hatten sich im März 2011 im Kreis Werchojansk - der ist größer als Deutschland - 400 Wölfe zu einem Rudel zusammengerottet. Biologen sprachen von der »jakutischen Anomalie«, Laien von der »jakutischen Apokalypse«. Die Natur, warnten Jäger, biete Rudeln von derartiger Größe keine ausreichende Nahrungsgrundlage. Zumal der Bestand an Hasen und Eichhörnchen - in Jakutien Hauptnahrungsquelle für die Wölfe - in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen sei. Überfälle auf Herden und sogar auf menschliche Behausungen würden daher dramatisch zunehmen. Genau so kam es. Helikopter mussten über 30 Hirten und Pelztierjäger mit teilweise lebensgefährlichen Bissen in Krankenhäuser fliegen. »Wenn du eine von diesen Bestien zur Strecke gebracht hast, hast du es nächstes Jahr mit zwanzig zu tun«, schrieb ein entnervter Blogger ein Jahr später. Er könnte Recht behalten.

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