Wie ein Belag auf der Zunge

Unwort des Jahres

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Foto: AFPSchlecker-Frauen« soll das Wort sein, das der »sprachkritischen« Jury, die Jahr für Jahr das »Unwort des Jahres« kürt, bisher am häufigsten vorgeschlagen wurde.

Sogenannte Schlecker-Frauen waren Frauen, die temporär dem Unternehmen Schlecker gehörten und von diesem gegen geringfügiges Salär nach Bedarf vernutzt werden konnten. Ihre Tätigkeit erschöpfte sich, nicht anders im Übrigen als die der Opel-Männer, Aldi-Frauen oder »Grillwalker«, darin, den Anweisungen ihres Chefs entsprechend als Arbeitskraftbehälter allerlei untergeordnete Tätigkeiten zu verrichten. So betrachtet gäbe es an dem monierten Begriff nichts auszusetzen, sieht man von der hässlichen Bindestrichkonstruktion ab. »Schleckers Frauen« müsste es heißen.

Wozu, so muss man fragen, braucht es ein einziges anzuprangerndes repräsentatives »Unwort«? So wird der Eindruck erweckt, als lebten wir hier in einer Oase der Vernunft und der Schönheit, und die Sprache, die uns umgibt, sei nichts als ein unschuldiges Transportmittel der Wahrheit.

Dabei ist man hierzulande fortwährend an jeder Straßenecke und bei der allmorgendlichen Zeitungslektüre von Unwörtern nur so umstellt: »Frühlingskredit«, »Eckpunktepapier«, »Weltmeisterbrötchen«, »Innovationsminister«. Schließlich entpuppt sich bei genauerem Hinsehen der »Innovationsminister« (früher auch: »Zukunftsminister«), den es in Nordrhein-Westfalen tatsächlich gibt und zu dessen Aufgaben angeblich die »Intensivierung des Austauschs zwischen Wissenschaft und Wirtschaft« gehört, am Ende schlicht als derjenige, der für die Privatisierung des Wissenschaftsbetriebs und die wachsende Elendsverwaltung an den Hochschulen zuständig ist. Man kann sich merken: Je schäbiger das Geschäft ist, das man treibt, desto glitzernder sind die Begriffe, mit denen es verschleiert oder aufgehübscht wird. Doch »Elendsverwaltungsminister« hört sich nicht gut an, auch wenn dieses Wort die Realität zutreffend wiedergibt.

In einer Gesellschaft wie der hiesigen, in der es zum täglichen Geschäft gehört, die Lüge in bonbonbunte Glanzfolie zu verpacken, und in der man parteiübergreifend beschlossen hat, den Müll in »Wertstoff« umzutaufen, damit er weniger streng riechen möge und sein ihm innewohnendes »Verwertungspotenzial« erkannt werde, ist nicht allein die Sprache zu einem Instrument der Propaganda geworden, sondern auch das Denken verkümmert.

Gibt man das Wort »Schönheit« bei der Google-Suche ein, ist das erste, worauf man stößt, Reklame für Kosmetikprodukte und das Unwort »Beauty-Oase«.

Das Wort »Liebe« liest man derzeit am häufigsten auf den Wegwerfverpackungen des Pappbrötchenkonzerns McDonald‘s.

Und ein Begriff wie »Freiheit« wird zur leeren Worthülse, wenn er unentwegt vom Prediger Gauck im Munde geführt wird wie ein nur schwer zu entfernender Zungenbelag oder vom Parteivorsitzenden der FDP für niedere Zwecke missbraucht und umgelogen wird zum Recht auf Profitmaximierung: Freiheit ist immer die Freiheit des Vorstandsvorsitzenden.

Bekanntgegeben wird das Unwort des Jahres 2012 am 15. Januar. »Liebe« oder »Freiheit« dürften chancenlos sein.

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