Chávez muss bei der Amtseinführung passen

Venezuela streitet über den verfassungsmäßig korrekten Umgang mit der Erkrankung des gewählten Präsidenten

  • Tobias Lambert, Buenos Aires
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn am Donnerstag Zehntausende Chavistas in roten Hemden und mit Fahnen vor den Präsidentenpalast Miraflores in Caracas ziehen, wird die Hauptperson fehlen: Comandante Hugo Chávez. Denn in Venezuela glaubt keiner, dass der 58-Jährige das Krankenbett in Havanna verlassen kann, um den Amtseid abzulegen.

Havanna statt Caracas: Der im vergangenen Oktober im Amt bestätigte Staatschef Hugo Chávez befindet sich nach einer erneuten Krebsoperation Mitte Dezember weiterhin in Kuba. Solange eine Genesung möglich erscheint, will sich die regierende Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) jedoch alle Optionen offen lassen. Die Vereidigung sei eine »reine Formalität« und könne zu einem späteren Zeitpunkt vor dem Obersten Gericht (TSJ) nachgeholt werden, erklärte vergangenen Freitag der Vizepräsident und designierte Kandidat der PSUV für eventuelle Neuwahlen, Nicolás Maduro. Die Option einer späteren Vereidigung hatte Parlamentspräsident Diosdado Cabello bereits im Dezember ins Spiel gebracht und nach seiner eigenen Wiederwahl am Samstag bekräftigt.

Artikel 231 der venezolanischen Verfassung sieht vor, dass die Vereidigung am 10. Januar vor der Nationalversammlung erfolgen soll. Im gleichen Artikel wird jedoch die Vereidigung vor dem TSJ als Möglichkeit genannt, sollte diese vor dem Parlament wegen eines »plötzlich auftretenden Grundes« nicht möglich sein. Eine konkrete Frist wird für diesen Fall nicht genannt.

Führende Politiker der Opposition pochen jedoch darauf, dass es innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen geben muss, sollte Chávez am 10. Januar nicht vereidigt werden. Ramón Guillermo Aveledo, der Generalsekretär des oppositionellen Zusammenschlusses MUD, hatte bereits Anfang Januar erklärt, dass Chávez in diesem Fall nach dem 10. Januar nicht mehr Präsident sein werde. Vize-Präsident Maduro warnte vor einer Destabilisierungskampagne und warf der Opposition vor, in Venezuela und international Falschinformationen zu verbreiten, die sich zwischen »Ignoranz und Böswilligkeit« bewegten.

Die Opposition beruft sich mehrheitlich auf Artikel 233 der Verfassung. Demnach müssen innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen abgehalten werden, sollte ein Präsident vor der Vereidigung oder innerhalb der ersten vier Jahre seiner Amtszeit versterben oder aus anderen Gründen dauerhaft ausfallen. Tritt dieser Fall bereits vor der Vereidigung ein, übernimmt der Parlamentspräsident die Amtsgeschäfte bis zu den Wahlen. Als Grund für eine »absolute Abwesenheit« wird unter anderem die »dauerhafte physische oder mentale Geschäftsunfähigkeit« genannt. Diese muss aber von einem Ärzteteam festgestellt werden, das vom Obersten Gericht ausgewählt und von der Nationalversammlung bestätigt werden muss. Eine temporäre Abwesenheit ist dem Präsidenten nach Erlaubnis durch die Nationalversammlung für 90 Tage gestattet, mit der Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung um weitere 90 Tage. Die medizinische Behandlung in Kuba hatte das Parlament im Dezember mit den Stimmen der Opposition genehmigt. Die Interpretation der umstrittenen Verfassungsartikel obliegt dem Obersten Gericht, dass aufgrund der internen Mehrheitsverhältnisse in den vergangenen Jahren stets chavistische Positionen vertreten hat.

Es gibt aber auch Stimmen innerhalb der Opposition, die den Regierungsdiskurs stützen. Der Verfassungsrechtler Hermann Escarrá etwa bezeichnete es als »gravierenden Fehler«, von einer absoluten Abwesenheit zu sprechen. Auch der im Oktober unterlegene Präsidentschaftskandidat der Opposition, Henrique Capriles Radonski, sprach sich nicht grundsätzlich gegen eine spätere Vereidigung aus. Nüchtern betrachtet kann die Opposition mit der Situation gut leben. Würden in 30 Tagen erneut Präsidentschaftswahlen stattfinden, wäre sie aufgrund schwacher Inhalte und der starken Mobilisierung, die Chávez' schwere Erkrankung auslöst, aller Voraussicht nach chancenlos.

Die Entscheidung, wie es in Venezuela politisch weitergehen wird, könnte sich noch einige Monate hinziehen. Die internen Spannungen, die den unterschiedlichen Strömungen des Chavismus nachgesagt werden, sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt kaum seriös einzuschätzen. Maduro und Cabello, die innerhalb der PSUV jeweils für den linken und rechten Flügel stehen, üben in der Öffentlichkeit demonstrative Geschlossenheit. Für Donnerstag rief die PSUV zu einer massiven Kundgebung der Solidarität mit Chávez auf. Es werden auch zahlreiche Staatschefs und andere internationale Gäste erwartet.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal