Stadtwerke in Bürgerhand

Vor 90 Jahren wurde in Sacramento ein gemeinnütziger Energieversorger gegründet. Die Verfassung in Kalifornien ermöglicht das

  • Jan Latza
  • Lesedauer: 3 Min.
Sacramento Municipal Utility District (SMUD) ist ein gemeinwohlorientierter Energieversorger in öffentlichem Eigentum. Mit etwa 1,1 Millionen Verbrauchern ist SMUD der sechstgrößte kommunale Versorger in den USA und bietet zugleich einen der niedrigsten Strompreise im Land. Auf dem Gelände des stillgelegten AKW Rancho Seco baute SMUD Solarpanele und ein Erdgaskraftwerk.

Das weltweit einzige Atomkraftwerk, das durch einen Volksentscheid abgeschaltet wurde, steht im kalifornischen Sacramento. Bis 1989 wurde das AKW Rancho Seco (»trockener See«) vom kommunalen Energieversorger Sacramento Municipal Utility District (SMUD) betrieben.

Die Abschaltung von Rancho Seco vor über 20 Jahren war das Resultat jahrelanger politischer Mobilisierung und Aufklärung der lokalen Anti-AKW-Bewegung. Das Ende der Atomenergie leitete eine Energiewende in Sacramento ein, die zeigt, wie groß die Spielräume für Innovationen in der Energieversorgung sind, wenn sie sozial-ökologischen und gemeinwohlorientierten Kriterien folgen. Die Tarife von SMUD sind zwischen 10 und 30 Prozent günstiger als die der umliegenden Energieversorger. Außerdem wird ein Sozialtarif angeboten, der 30 Prozent unter dem Normaltarif liegt. Mit dem Ausstieg aus der Atomenergie wurde SMUD in den 1990er Jahren zum Pionier im Ausbau regenerativer Energien und bei innovativen Energiesparprogrammen.

Das Unternehmen ersetzte (problemlos) Atomkraft durch Strom aus Erdgaskraftwerken, durch Wind- und Solarenergie sowie durch Fotovoltaikanlagen. SMUD bietet Einspeisevergütungen an, um die Stromproduktion in kleinen, privaten Einheiten zu fördern und so den Anteil an regenerativer Energie zu erhöhen. Zudem forscht SMUD im Bereich der erneuerbaren Energien: Fortgeschrittene Technologien zur Energiegewinnung durch Solar, Wind, Brennstoffzellen, Gasturbinen und Biomasse wurden weiterentwickelt. Auch die lokale Ökonomie hat hiervon profitiert: Zwischen 1995 und 2009 verdoppelte sich die Zahl »grüner Arbeitsplätze« im Raum Sacramento von 7000 auf 14 000. Ab 1990 pflanzte SMUD in Kooperation mit der Sacramento Tree Foundation über 200 000 Schattenbäume, um den hohen Energieverbrauch für Klimaanlagen in den heißen Sommerphasen zu reduzieren, und betreibt heute zahlreiche Programme zur Energieeinsparung sowie zum Klima- und Umweltschutz.

Möglich gemacht wurde diese frühe lokale Energiewende einerseits durch die institutionellen Bedingungen: Die kalifornische Verfassung enthält weitreichende Instrumente direkter Demokratie und räumt Kommunen - bei entsprechendem Wählervotum - das Recht ein, kommunale Versorgungsbetriebe in öffentlichem Eigentum und unter lokaler Kontrolle zu gründen. Auf dieser Grundlage wurde SMUD durch einen Volksentscheid 1923 ins Leben gerufen.

Gegenüber der Kommunalverwaltung ist SMUD organisatorisch wie finanziell unabhängig. Der siebenköpfige Vorstand wird, aufgeteilt nach Bezirken, alle vier Jahre von den dort Wahlberechtigten direkt gewählt. Die Unternehmensgewinne fließen nicht in die kommunalen Kassen, sondern werden nach gemeinnützigen Kriterien reinvestiert.

Der entscheidende Faktor lag aber in der politischen (Basis-)Initiative der Bewohner, von denen diese Instrumente in der Krise der Atomenergienutzung mit Leben gefüllt wurden: Schon im März 1979 sorgte die partielle Kernschmelze im baugleichen AKW Three Mile Island in der Nähe von Harrisburg/Pennsylvania für Aufruhr in Sacramento. Ein Störfall 1985 konnte nur knapp unter Kontrolle gebracht werden und förderte unzählige Probleme in der baulichen Ausführung und der Qualifikation der Beschäftigten zutage. Vier Monate nach dem Störfall ereignete sich die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Im folgenden Volksbegehren der Sacramentans for Safe Energy (SAFE) wurden über 50 000 Unterschriften für die Abschaltung des Atomkraftwerkes gesammelt, mehr als doppelt so viele, wie benötigt wurden. Bei einer Abstimmung stimmten 1989 schließlich 53 Prozent für die Stilllegung von Rancho Seco. Am nächsten Tag wurde der Reaktor für immer abgeschaltet.

Nach dem kostspieligen Rückbau des AKW produzieren heute symbolträchtig eine Solaranlage und ein Erdgaskraftwerk Energie auf dem Werksgelände, in dessen unmittelbarer Nähe man nun angeln und campen kann.

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