Mit einer Dame im Rucksack durch Pamphylien

Türkische Mittelmeerküste: Nach den Spuren des Großen Alexander gesucht, aber die von Atatürk und Paulus gefunden

  • Michael Müller
  • Lesedauer: 6 Min.

»Keine Gegend der Welt kann schöner sein als die südliche Küste der Türkei.« Dieser Satz stammt aus den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Also aus einer noch wenig von Werbung durchwaberten Zeit, einer, in der deshalb ein Superlativ noch etwas galt. Die sich da zu so einer Bewertung hinreißen ließ, war Freya Madeline Stark (1893 - 1993). Und das erhebt das Zitat nun geradezu zum Autoritätsbeweis. Denn die britische Forschungsreisende kannte die Welt, speziell den Orient, wie ihre Rocktasche; sie wusste, wovon sie sprach.

Die türkische Mittelmeerküste hatte sie wieder und wieder durchstreift: die antiken Landschaften von Karien im Westen, dort, wo die Ägäis langsam ins Mittelmeer aufgeht, über Lykien, Pamphylien mit der Bucht von Antalya, bis nach Kilikien, das im östlichen Levantebogen bis zur syrischen Grenze reicht. Die 1972 geadelte Historikerin suchte dort vor allem nach Spuren von Alexander III. von Mazedonien (356 - 326 v.u.Z.), der, den man später den Großen nannte. Fast zur Unkenntlichkeit verwehte Spuren. Doch für uns Heutige, die sich der »schönsten Gegend der Welt« meist nur stippvisitenhaft nähern, hat Dame Stark (engl. Dame - weibliche Entsprechung zum adeligen Sir) höchst interessante Entdeckungsmarken gesetzt. Mit dieser Dame im Wanderrucksack lassen sie sich finden und entziffern.

So auch in Pamphylien, der »türkischen Riviera«, wie die Gegend in aktuellen Prospekten potenziellen Kunden gern schmackhaft gemacht wird. Dabei ist Pamphylien dies glücklicher Weise (noch?) nicht. Sondern in erster Linie ein archäologisches und ethnografisches Freilichtmuseum, in dem man alle fünf Kilometer eine antike Stadt bestaunen kann. Und so ganz nebenbei ist es auch noch die Gemüse- und Kornkammer der Türkei.

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Aspendos, etwa 35 Kilometer nordöstlich Antalyas gelegen, war einer dieser großen Orte des Altertums. Hier am Flüsschen Eurymedon hatten die Griechen 466 v.u.Z. die letzte Schlacht der so genannten Perserkriege gewonnen. »Seither markierte der Eurymedon die Trennung zwischen dem östlichen persischen Einflussgebiet und dem westlichen, sprich: griechischen Kleinasien«, erläutert Sitki Matar, gelernter Historiker und Studienreiseführer. Als dann später, 334 - 327 v.u.Z., Alexander der Große gegen die Perser zog, schleifte es das reiche Aspendos nicht, sondern molk es. Zur Tributpflicht gehörten besonders Pferde, für deren Zucht die Weiden des Taurusgebirges in der Antike berühmt waren.

Richtig ausgeraubt wurde das später auch in römischer Zeit prosperierende Aspendos dann von einem Römer. Nämlich vom Proquästor Gaius Verres. Und zwar nicht von Staats wegen, sondern - welch frappierende Parallelen zu heutigen Gepflogenheiten - privat. Kein Geringerer als Cicero hielt ihm 70 v.u.Z. vor dem Repetundengerichtshof die Anklagerede. Übrigens eine - hier allerdings bricht die Parallele zu heute ab - tödlich ausgehende.

Solche Ausplünderungen machte das Imperium später gewissermaßen durch eine lange Ära des Friedens wieder gut. Sichtbarstes Zeugnis: das Theater von Aspendos. Es soll justament an der Stelle stehen, wo einst Alexander zwischen Fluss und Stadt sein Lager aufgeschlagen hatte. Und es ist heute möglicherweise rund ums Mittelmeer das am besten erhaltene Theater aus römischer Zeit.

Warum gerade dies hier, erklärt Sitki Matar mit einer strategisch-geografischen Besonderheit. »Die arabischen Seldschuken benutzten es später Jahrhunderte lang an einem wichtigen Handelskreuzweg als Han, also als eine riesige Karawanserei. Sie hielten es deshalb ordentlich in Schuss. Das ging so weit, dass sie über dem Haupteingang als Schmuckelement einen orientalischen Spitzbogen einzogen.« Regelmäßig finden hier Opern- und Ballettfestivals statt, und sogar »Wetten das...?« gastierte vor ein paar Jahren - Marcus Aurelius, dem die Römer das Theater widmeten, drehte sich da wohl im Grabe um.

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Antalya liegt quasi im Zentrum des antiken Pamphyliens. Man kann sich aber - nähert man sich beispielsweise den Blickwinkeln der britischen Reisenden Freya Stark - auch ein bisschen wegdenken von all den Hotels und Urlauberrestaurants, von Reklameschildern und touristischer Schnäppchenjägerei. Etwa, wenn man früh überm alten Hafen steht und westwärts von Gipfel zu Gipfel zur Halbinsel Chelidonia schaut. Dort hart am Meer entlang, den Pass von Lykien herunter müssten sie einst gekommen sein, Alexanders Mannen. Möglicherweise sogar im Gänsemarsch, denn viel mehr Raum dürfte die Klimax bei Physelis am Fuße des lykischen Olymps auch damals kaum gelassen haben.

Erinnert wird in Antalya allerdings allerorten nicht an diesen antiken Großreichsgründer, sondern an einen neuzeitlichen. Beispielsweise mit einem Reiterdenkmal auf einem Platz, von dem man auch eine gute Sicht auf die sechs Ziegeldachkuppeln der seldschukischen Moschee aus dem 13. Jahrhundert hat. Gewidmet ist es Mustafa Kemal Atatürk (1881 - 1939). Ihm war es nach dem Ersten Weltkrieg gelungen, aus den Resten des Osmanischen Reiches den modernen türkischen Staat zu gründen. Und zwar, unter rigidem Traditionsbruch, einen mit westeuropäisch-demokratischem Zuschnitt, aber eben auch mit bis heute unübersehbarer byzantinischer Einfärbung.

Inzwischen macht Europa - in erster Linie mit fast fünf Millionen Gästen übrigens Deutschland - in der Türkei, speziell an deren Mittelmeerküste, alljährlich Urlaub. Aber selbst Mitglied der EU wird die Türkei auf absehbare Zeit noch nicht sein. Einerseits ist das Land, weil wirtschaftlich prosperierend, selbstbewusst auf eigenem Weg, andererseits sähe man ganz gern eine deutlichere Annäherung. »Ich meine, dass die Türkei als Mitglied viel zur weiteren Entwicklung der EU beitragen könnte«, meint beispielsweise auch Sururi Corabatir, Präsident des türkischen Mittelmeer-Hotelverbandes. Auf dem überdachten Markt von Antalya zuckt Schuhmacher Asim Usta am Stand 7 bei dieser Frage nur lächelnd mit den Schultern. »Mir sind alle Kunden recht. Gut besohlte Schuhe brauchen Europäer und Russen, Amis und Japaner. Mein Geschäft läuft, der Familie geht es ganz gut. Es wäre ein Wunder, wenn die EU da noch was dran verbessern könnte.«

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An der türkischen Mittelmeerküste zieht sich, mal direkt das Ufer berührend, mal weit zurückbiegend oder -springend, 1500 Kilometer das Taurusgebirge entlang. Nördlich dahinter liegt Anatolien, das antike Phrygien. Dessen damalige Hauptstadt Gordium (unweit des heutigen Ankaras) hatte Alexander der Große natürlich auch auf seinem Eroberungsplan. Für diesen rund 400 Kilometer langen strategischen Abstecher musste er von Pamphylien aus Pässe suchen und frei kämpfen lassen.

Einen dieser Versuche kann man nachvollziehen, wenn man sich mit Oguz Kurtulus, der ein kleines Natursafariunternehmen betreibt, vom Küstenort Side den Köprüli-Fluss bergwärts aufmacht. Erst ganz entspannt unter Zypressen und Eukalyptus, Granatäpfeln, Mönchspfeffer und Pinien. Doch bald wird es unter den neu aufgeforsteten Rotkiefern rau-felsig. Schlussendlich stehen wir atemlos an der Adler-Schlucht, die einem den letzten Atem nimmt. Fast 200 Meter steil abfallend, heute wie zu Alexanders Zeiten kein Weiterkommen. Oder hatte er hier in der Nähe nicht etwa doch eine Brücke bauen lassen, wie immer »begierig auf Ehre und Gefahr«, wie sein Biograf Arrian (85 - 145) schrieb?

Doch von Alexander und seinem Heer sind auch hier keine Spuren mehr zu finden, sondern bestenfalls zu ahnen. Was so übrigens auch für die pamphylischen Wege eines anderen historisch Berühmten gilt, für die des Apostel Paulus von Tarsus (gest. 65). »Paulus ist aber wohl für viele, vor allem westeuropäische Touristen wegen des abendländisch-christlichen Hintergrunds interessanter als Alexander«, meint Oguz Kurtulus. Weshalb man einen gut markierten insgesamt 500 Kilometer langen Paulusweg entlang wandern kann, aber eben keinen Alexanderpfad findet. Vielleicht nicht ganz zu Unrecht. War doch Alexanders Reich zwar auch legendenträchtig, doch realpolitisch gesehen eher eine weltgeschichtliche Episode. Wohingegen das geistige und geistliche Reich, als dessen Apostel Paulus Kleinasien erobern half, zumindest für Christen bis ins Heute reicht.

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