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Ein Stück weit

"Insofern waren wir heute einfach auch ein Stück weit traurig“, sagte Angela Merkel zur Wahlniederlage des netten Herrn McAllister in Niedersachsen. Dazu ist dreierlei anzumerken: Die Wahlniederlage macht, erstens, Frau Merkel offenbar eben nicht komplett, sondern „einfach nur ein Stück weit traurig“, obwohl sie die Pleite zu Beginn des Bundestags-Wahljahres maßlos ärgern, nerven, ankotzen müsste. Niedersachsen ist eben doch bloß ein Stück weit unwichtige Provinz, wie man schon an Christian Wulff beobachten konnte. Die Bundeskanzlerin lässt, zweitens, offen, wie weit das Stück Traurigkeit reicht: bis kurz vor Hannover oder nur bis an den Stadtrand von Berlin; bis zum Sommer oder nur bis zum Tag nach der „Ein Stück weit traurig“-Wahl. Und drittens handelt es sich bei Merkels Satz ein Stück weit um sehr, sehr schlechtes Deutsch. Und zwar ein sehr, sehr großes Stück weit.

Trotz aller Traurigkeit hat die CDU auch einen Grund zur Freude. Sie ist immerhin die Wahlsiegerin, wenngleich sie sich dafür nichts kaufen kann. Sieger ist ja immer noch der, der die meisten Stimmen hat. Ein Stück weit jedenfalls. Die SPD dagegen, die dreieinhalb Prozent weniger bekam als die CDU, tut so, als hätte sie gewonnen. Tatsächlich hat sie allerhöchstens ein Stück weit gesiegt. Die FDP wiederum hat alle verarscht, und zwar ein sehr großes Stück weit – erst mit ihrem Leihstimmentrick, dann mit der Rösler-Brüderle-Nummer, die den äußerst bemühten FDP-Vorsitzenden gerettet hat. Ein Stück weit jedenfalls.

In diesem Zusammenhang tauchte im Fernsehen tatsächlich ein Experte mit der frappierenden Berufsbezeichnung „Rösler-Biograf“ auf. Rösler-Biograf? Da sieht man wieder einmal, wie man heutzutage aus nichts Geld machen kann. Früher wurden Biografien über Menschen geschrieben, die entweder tot waren oder wenigstens schon sehr alt – also ein großes Stück weit Leben hinter sich gebracht und dabei möglichst noch irgend etwas Bleibendes geleistet hatten. Philipp Rösler ist weder tot noch sehr alt – und Bleibendes? Man wüsste nicht, und das ist vielleicht sogar besser so. Ganz anders sieht es da mit Nicole aus – die gewann 1982 das erste Mal den Eurovision Song Contest für Deutschland. Ihr Siegertitel hieß „Ein bisschen Frieden“. Hätte der Texter „Ein Stück weit Frieden“ getextet – keine Sau hätte ihr zwölf Punkte gegeben.

Aber Angela Merkel will ja keinen Song Contest gewinnen, sondern nur die Bundestagswahl. Und solange sie sich auf den SPD-Spitzenkandidaten auch nur ein kleines Stück weit verlassen darf, kann sie eigentlich erzählen, was sie will. Die Aussichten stehen gut, dass er der Kanzlerin weiter unfreiwillig gefällig ist. Er muss ja auf keine Parteifreunde mehr Rücksicht nehmen. Nur noch auf sich selbst. Wenigstens ein Stück weit. Aber warum sollte er jetzt plötzlich damit anfangen?

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