Reaktor in der Einflugschneise

Oberverwaltungsgericht verhandelt zur Wannsee-Flugroute

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Platzeck, Wowereit und Co. hatten am Mittwoch beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg Schonfrist, im Zentrum der Kritik stand das Bundesaufsichtsamt für Flugssicherung, verantwortlich für die Flugroutenfestlegung beim künftigen Hauptstadtflughafen in Schönefeld. Gegen die so genannte Wannseeroute hatten die Stadt Teltow, die Gemeinden Kleinmachnow und Stahnsdorf, die Deutsche Umwelthilfe sowie zahlreiche Anwohner geklagt. Im Mittelpunkt der Verhandlung standen die möglichen Gefahren, die von der Nähe der festgelegten Strecke zum atomaren Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums am Wannsee ausgehen könnten. Außerdem sollten noch die Umweltverträglichkeit und der Lärmschutz zum Thema gemacht werden, doch die Auseinandersetzungen drehten sich bis in den Nachmittag um die Gefährlichkeit der Route bei einem möglichen Absturz.

Der Reaktor befindet sich rund 29 Kilometer vom Flughafenneubau entfernt. Er steht in einer »normalen« Betriebshalle, ist nicht besonders durch einen Betonmantel gesichert und von Gebäuden umgeben, in denen radioaktives Material lagert. Startende Maschinen von der nördlichen Bahn in Richtung Westen sollen auf der Wannseeroute den Meiler bei einer Flughöhe von 1500 Meter in einer Entfernung von drei Kilometer passieren. Diese Routenfestlegung habe keinerlei negative Auswirkungen auf die Sicherheit der betroffenen Region. Davon ist das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF), das am 26. Januar 2012 den Routenplan verkündete, überzeugt.

Die äußerst kontrovers geführten Debatte zwischen den Klägern und dem Bundesamt drehte sich vor allem um die Frage, welche Risiken bei einem möglichen Flugzeugabsturz auf den Meiler, zum Beispiel durch einen terroristischen Anschlag, entstehen. Aus Sicht der Kläger könnte ein Absturz oder ein Treffer eines schweren Flugzeugteils katastrophale Auswirkungen haben. Bei einer Kernschmelze drohe ein Gefahrenwert von 50 Prozent der Fukoshima-Katastrophe. Der Reaktor sei nie gegen Flugzeugabsturz gesichert worden. Die Gefahren, die bei einem solchen Szenario von dem Meiler ausgehen, würden in der Öffentlichkeit unterschätzt. Es wäre der größte für Berlin vorstellbare Unfall, wenn sich ein solches Unglück ereignen würde, erklärten die Klägeranwälte. Gefahren berge auch die Tatsache, dass die Routen nicht genau ausgeflogen werden und Abweichungen möglich sind.
Dem widersprach das BAF vehement. Die »Schadenseintrittswahrscheinlichkeit« durch die festgelegte Route liege faktisch bei Null. Starts und Landungen seien immer die gefährlichen Momente einer Flugbewegung. Bei der Entfernung vom Reaktor zum Flughafen sei die unmittelbare Start- oder Landesphase bereits abgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer Katastrophe genau an dieser Stelle kommen könne, sei somit auszuschließen.
Ein möglicher terroristischer Angriff auf den Meiler sei unabhängig von der Flugroute so oder so gefährlich. Würde eine andere Strecke gewählt, dann bestünden genau dieselben Gefahren. Das Abfangen einer Terrormaschine sei bei einer so kurzen Entfernung zum Flughafen in keinem Falle möglich. Hier gehe es um ein Zeitfenster von einer bis drei Minuten, in der die Behörden reagieren müssten. Zur Gefahrenabwehr vom Meiler befinde sich der Flughafen »einfach am falschen Platz«. Deshalb sei diese Flugroute nicht gefährlicher oder risikobehafteter als jede andere.
Aus Sicht der Kläger wurde im Vorfeld der Routenfestlegung nicht genügend geprüft. Weder bei der Umweltverträglichkeit, noch beim Lärmschutz oder bei einer möglichen Gefahrenlage sei gründlich und gewissenhaft gearbeitet worden. Dem widersprach das BAF. Man habe sich exakt an den Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen BER gehalten. Dieser Plan, 2004 gefasst und bis 2009 immer wieder erweitert und modifiziert, sei die Grundlage für die künftigen Flugrouten. Das Oberverwaltungsgericht tagte bis in die Abendstunden, ein Urteil lag bei Redaktionsschluss nicht vor.

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