Ein Abenteuer, keine Gewaltveranstaltung

Kriminologe Christian Pfeiffer vermutet eher eine Sensibilisierung der Krankenhäuser als eine Zunahme der Alkoholexzesse

  • Lesedauer: 3 Min.

nd: Der Karneval erfreut viele Menschen, andere scheinen vor den närrischen Tagen vor allem Angst zu haben. Sie sehen wegen betrunkener Jugendlicher die öffentliche Ordnung gefährdet. Können Sie als Wissenschaftler bestätigen, dass der Alkohol ein größeres Problem für die öffentliche Ordnung ist als früher?

Pfeiffer: Auf der einen Seite ist der Anteil der Jugendlichen rückläufig, die sich zielgerichtet betrinken, andererseits wächst die Zahl der Jugendlichen, die sturzbetrunken in Krankenhäuser eingeliefert werden. Eine Erklärung könnte sein, dass die Krankenhäuser die Fälle akribischer registrieren als früher. Nach unseren Daten gibt es keinen dramatischen Anstieg des Alkoholkonsums von Jugendlichen. Allerdings stehen wir soeben vor der Auswertung einer Untersuchung in Niedersachsen. Die Befragung von 12 000 Jugendlichen wird uns aktuelle Daten liefern.

Die Niedersachsen sind nicht gerade große Karnevalisten.
Nein, dies ist eine regelmäßige Untersuchung in Städten und Landkreisen, in der wir das Ausmaß von Gewaltneigungen, Schuleschwänzen, suchtartigem Computerspielen oder auch Alkoholmissbrauch feststellen.

Aber bisher vermuten Sie eher eine Sensibilisierung gegenüber dem Problem als ein vergrößertes Problem Alkohol?
Die Bundesregierung hat jüngst festgestellt, dass es keinen Anstieg der Fälle von Alkoholmissbrauch unter Jugendlichen gibt, die Angaben der Krankenhäuser scheinen dem zu widersprechen, ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse unserer eigenen Studie.

Sie untersuchen den Zusammenhang von Medien und Gewalt, katholischer Kirche und sexuellem Missbrauch – auch den von Karneval und Alkoholmissbrauch?
Der Karneval dauert wenige Tage, das Problem ist so nicht zu erforschen. Außerdem hat Karneval vor allem mit Lebensfreude zu tun. Die Menschen stoßen an mit allem Möglichen, nicht nur mit Alkohol, und wer ihm zu sehr zuspricht, hat am nächsten Tag einen Kater und das Wichtigste verpasst.

Sollte die Wissenschaft sich überhaupt für so etwas interessieren – den Zusammenhang von Ausgelassenheit und Entgleisung?
Nein, das ist kein Thema. Lebensfreude verdient keine Vorverdächtigung. Anders ist es mit dem Zusammenhang von Alkohol und Kriminalität. Da gibt es gar keinen Zweifel, dass Jugendgewalt in ganz starkem Maße von dem Sonderzustand gefördert wird. Drogenmissbrauch bewirkt solche Gewaltexzesse nur teilweise. Alkohol ist Problem Nummer eins. Wir sehen es als großes Ärgernis an, dass die Alkoholindustrie bisher verhindern konnte, was uns beim Tabak gelungen ist. Nämlich eine drastische Reduzierung der Werbung.

Auch das Phänomen der K.O.-Tropfen beunruhigt in letzter Zeit die Öffentlichkeit – womöglich auch ein Thema für den Karneval. Eines, das auch die Wissenschaft interessieren sollte?
Natürlich, aber es hat mit dem Alkoholproblem gar nichts zu tun, sondern es gehört zum Bereich der sexuellen Gewalt. Frauen werden mit diesen Tropfen gefügig gemacht und vergewaltigt. Insgesamt allerdings nimmt Gewalt in der Gesellschaft erfreulicherweise ab, zum Beispiel auch in den Familien. Das hat die Wirkung, dass die ständige Neurekrutierung von gewalttägigen Menschen zurückgeht.

Wovon auch der friedliche Karnevalist etwas haben müsste.
Sicher. Der Karneval ist ja auch nicht eigentlich keine Gewaltveranstaltung. Sondern er dient der Geselligkeit und dem kleinen menschlichen Abenteuers.

Fragen: Uwe Kalbe

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal