Holocaust als Kollateralschaden gebilligt

Karlheinz Deschner über ein unbewältigtes Kapitel Vergangenheit des Vatikans

  • Frank-Rainer Schurich
  • Lesedauer: 5 Min.

Dem Berliner Arzt und Publizisten Peter Gorenflos ist es zu verdanken, dass Karlheinz Deschners fundamentales Werk über das ungeheure Ausmaß der Kollaboration zwischen dem Vatikan und den Faschisten aller Couleur nach fast 50 Jahren wieder auf dem Buchmarkt ist. Es kommt zur rechten Zeit, möchte man meinen.

Mit seiner 1962 erschienenen Schrift »Abermals krähte der Hahn« und dem drei Jahre darauf folgenden, nun neu aufgelegten Buch »Mit Gott und den Faschisten« hat der 1924 in Bamberg geborene Deschner sich früh den Zorn der Katholischen Kirche und des Staates zugezogen; die Justiz ermittelte wegen Gotteslästerung gegen ihn. Der Bekanntheitsgrad, den der streitbare und umstrittene Publizist alsbald im In- und Ausland genoss, schützte ihn vor Verurteilung und Inhaftierung.

Deschner offenbart, dass die Katholische Kirche den faschistischen Regimen in Europa nicht nur zu Diensten war, sondern selbst Blutschuld auf sich lud, so auf dem Balkan, wo die vielleicht bestverschwiegenen Massenverbrechen der Neuzeit stattfanden. Deschner entlarvt die Mär vom mutigen katholischen Widerstand während der Zeit des Faschismus als Lüge, die ungeniert immer noch verbreitet wird - wobei individuelle Widerstandsaktionen von Priestern nicht in Abrede gestellt seien.

Bereits unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, so der exkommunizierte Autor, hat der Vatikan sich mit den erstarkenden faschistischen Bewegungen zusammen getan, um das Rad der Geschichte zurückzudrehen. Die Angst vor Revolutionen und einem Sieg des Kommunismus in ganz Europa nach dem Vorbild der Sowjetunion war in Rom so gewaltig, dass der Heilige Stuhl mit den reaktionären Teilen des Großbürgertums und dessen Handlangern, den Faschisten, ein Bündnis einging. »Diese unheilige, katholische Allianz mit dem angeblich kleineren - faschistischen - Übel führte in die größte Katastrophe der Menschheitsgeschichte: den zweiten Weltkrieg und den Holocaust«, schreibt Gorenflos im Vorwort zur Neuauflage. »Bei diesem von der Catholica herbeigesehnten ›Weltanschauungskrieg‹, wie ihn Hitler auch nannte, wurde der Holocaust als eine Art nicht unwillkommener Kollateralschaden in Kauf genommen.«

Im ersten Kapitel untersucht Deschner die »freundschaftlichen« Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem »Duce«. Man wusste sich im Kampf gegen jegliches Fortschrittsdenken einig. Mussolini erhielt auch für seinen Abessinienkrieg 1935 päpstlichen Segen. Der Vatikan und der spanische Bürgerkrieg gehört zu den unrühmlichsten Kapiteln Kirchengeschichte. Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli bescheinigte dem Putschisten Franco »sehr edle christliche Gefühle« und ermunterte ihn explizit, in Spanien »alte christliche Traditionen« wieder aufzurichten. Was der General dann auch mörderisch umsetzte. 200 000 Republikaner sollen nach Francos Sieg über die Volksfrontregierung 1939 bis zum Frühjahr 1942 erschossen worden sein. Pacelli wurde im März 1939 zum Papst gewählt. Auch als Pius XII. hielt er sich noch lange Zeit mit Kritik am Antisemitismus und Eroberungskrieg der Nazis zurück. Wenngleich neuere Forschungen ein etwas milderes Licht auf diesen Papst werfen (spätere Hilfe für die in Italien bedrängten Juden), so ist Deschners Urteil dadurch nicht aufgehoben.

Pacellis Unterschrift trägt das Reichskonkordat vom 20. Juli 1933, mit dem der Vatikan - ein halbes Jahr nach Hitlers Machtantritt - bei der völkerrechtlichen Anerkennung des NS-Staates vorpreschte. Fast zwei Drittel der 34 Artikel betrafen die Absicherung kirchlicher Privilegien, die heute noch voll gültig sind, so die Eintreibung der Kirchensteuer durch den Staat. Die Kurie erwies Hitler bis zu seinem schmählichen Ende Loyalität und Unterstützung. Bischof Galen (später Kardinal und selig gesprochen) autorisierte den »Fahneneid« auf Hitler. Und Bischof Werthmann setzte sich dafür ein, dass Kriegsdienstverweigerer »ausgemerzt und um einen Kopf kürzer gemacht werden müssten«; er wurde 1956 Generalvikar in der Bundeswehr.

Die streng antikommunistische Grundhaltung deutscher Bischöfe zeigte sich vor allem in deren Befürwortung des vertragsbrüchigen Überfalls auf die Sowjetunion. Am 10. Dezember 1941 erklärten sie: »Mit Genugtuung verfolgen wir den Kampf gegen die Macht des Bolschewismus.« Und ein Jahr später befanden die gleichen Würdenträger, dass ein Sieg über den Bolschewismus gleichbedeutend mit dem Triumph der Lehren Jesu über die Ungläubigen wäre.

Beschützt und gesegnet bis zuletzt wurde von Pius XII. auch ein weiterer Verbrecher des 20. Jahrhunderts: Ante Pavelić, Begründer der Ustascha und Oberhaupt eines nach der Zerschlagung Jugoslawiens durch die deutsche Wehrmacht errichteten totalitären »großkroatischen« Staates. Weder die Ermordung von 750 000 Serben noch die Zwangsbekehrung von 240 000 Orthodoxen zum Katholizismus fand Missbilligung durch den Stellvertreter Gottes auf Erden. Im Gegenteil, der Heilige Stuhl ernannte den Primas der kroatischen Kirche zum Militärvikar der Ustaschen und zeichnete Erzbischof Stepinac 1953 gar mit der Würde des römischen Purpurs aus, was »keinem anderen Grund entspringt, als ihm in geziemender Weise seine großen Verdienste zu vergelten«. Der von Papst Pius XII. gesegnete Pavelić, der seinen Lebensabend unbehelligt in Franco-Spanien verbrachte, soll übrigens Gästen gern und stolz ein Behältnis mit gallertartigem Inhalt gezeigt haben: »Ein Geschenk meiner treuen Ustaschen. Vierzig Pfund menschlicher Augen!«

Dieses Buch von Deschner, der auch Autor einer zehnbändigen »Kriminalgeschichte des Christentums« ist, erschüttert und ist nach wie vor aktuell. Die »Hirnzermanschungsmaschine«, wie Fritz Erik Hoevels im Nachwort drastisch formuliert, arbeitet weiterhin auf vollen Touren. Der Vatikan hat noch immer Schwierigkeiten mit der eigenen Geschichte in mörderischer Zeit und, wie der scheidende Papst bewies, im Umgang mit Holocaust-Leugnern. Dagegen bietet, so Gorenflos, Deschner »ein wichtiges Stück Aufklärung, ein Juwel für jeden, der die historische Wahrheit sucht«.

Karlheinz Deschner: Mit Gott und den Faschisten. Der Vatikan im Bunde mit Mussolini, Franco, Hitler und Pavelić. Ahriman. 227 S., br., 19,80 €.

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