Skulptur gewordene Gesellschaftskritik

Bei Nature Morte erteilt L. N. Tallur »Montessori: Lessons in Economics«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.
L. N. Tallur: »Pedestal on Pedestal«, 2011, vorn, und »Chromathophobia«, 2010
L. N. Tallur: »Pedestal on Pedestal«, 2011, vorn, und »Chromathophobia«, 2010

Sich als Künstler zu politischen Themen in Beziehung zu setzen, führt häufig zu Agitprop-Art. Einer, dem dabei eigenständige Werke gelingen, ohne jeden Anflug von verbissener Weltveränderergeste, ist der Inder L. N. Tallur. Dabei hat er sich nicht weniger zur Aufgabe gesetzt als eine Krisenkritik unserer gegenwärtigen Welt. Seine künstlerischen Kommentare gibt er jedoch in einigen Arbeiten derart ironisch, dass man daran, bei aller nachdenklichen Wirkung, dennoch seine Freude haben kann. Erstmals in Deutschland stellt er sich bei Nature Morte vor. Geboren wurde er 1971 im südindischen Bundesstaat Karnataka, erwarb einen Bachelor in Malerei, je einen Master in Museumskunde sowie, im englischen Leeds, für zeitgenössische Kunst, hatte inzwischen Soloausstellungen in Mumbai, Peking, New York, Neu Delhi und Seoul, wo er lebt. Aus den Jahren 2010 und 2011 datieren die acht Exponate bei Nature Morte unter dem Titel »Montessori: Lessons in Economics«.

Freilich nicht direkt bezieht er sich dabei auf die Lehren der italienischen Medizinerin Maria Montessori, die um 1900 dafür plädierte, Kinder ganz nach ihren Fähigkeiten und dem eigenen Wollen lernen zu lassen. Einen Lernprozess in Bewegung setzen möchte Tallur mit seinen Plastiken wohl auch: durch raffinierte und ziemlich erstaunliche Konstruktionen.

»Password« etwa reiht in einem schwarzlackierten Schaukasten aus Museumsbestand von Tallur entworfene Silbermedaillons, wie sie verwendet werden, um Tieren Brandzeichen aufzubringen. Hier weisen die Medaillons Währungszeichen auf wie €, ?, $, die sich einbrennen lassen könnte, wer einer pekuniären Philosophie nachhängt. Die Brenn- Einrichtung sitzt dem Tisch auf: Eiförmige Glühbirnen würden das Zeichen in seiner Halterung so erhitzen, dass es sich in die Haut eindampft. Auch zwei weitere Exponate zielen auf den fragwürdigen Wert des Geldes im Kapitalismus ab. »Apocalypse« ist ein elektromagnetisch betriebenes Poliersystem für Geld. Darin werden von einem sich drehenden Bürstensystem aus feinen Eisenspänen Münzen so lange gereinigt, bis sie glänzen, also »zivilisiert« und damit gesellschaftsfähig sind, den Besitzer über jeden Verdacht erhaben machen: ein Automat zur Geldwäsche im doppelten Wortsinn. Ein über ihm hängendes Zertifikat gibt entsprechende Auskunft

Gewalttätiger noch mutet »Chromatophobia« an. In die Schlitze eines schräg liegenden Baumstamms kann man per Hammer Münzen einschlagen und das Holz so noch mehr aufspalten. Schräg wie ein Kanonenrohr bettet er sich, weil er auf dem Kopf einer aus Granit bestehenden Buddha-Figur aufliegt, ihr in den Schädel eindringt, als habe er ihn zertrümmert. Auch der Buddha ist zweigeteilt: »Made in USA« und »Made in China« als Aufschrift mag darauf hinweisen, wen Tallur für schuldig am Finanzdesaster hält und welchen Verlust auch an traditionellen Glaubenswerten es bedeutet.

Zu ähnlicher Aussage kommt die Plastik »Victory Pillar«. In ihr türmt sich über einer Statue von Lakshmi, der hinduistischen Göttin für Glück, Liebe, Schönheit, Gesundheit, Fruchtbarkeit und Wohlstand, ein Stalakmit aus Zement, in dem Geldstücke fest verankert sind. Wie Unrat schaut aus, was die Göttin bis zur Hüfte überstülpt, sie ihrer Funktion beraubt und als Teil eines schnöde monetären Tabernakels entweiht. »Chamber B« verwendet, wieder von einer Lakshmi-Skulptur, nur noch den hier ovalen dreistufigen Lotosuntersatz, bedeckt ihn als neues göttliches Zeichen mit einem Zement-Münzen-Klumpen in einer Art Voliere: Die Göttin und mit ihr all der tradierte Glaube auch als Richtschnur des Handelns haben heute offenbar ausgedient.

Zweiter Bestandteil von »Chamber B« ist wiederum eine Vitrine, gefüllt diesmal mit einer fixierten Reislandschaft, aus der wie Monsteraugen zwei Glaskonstruktionen ragen, innen verspiegelt mit Zerreffekt, wenn man hineinsieht; auf den Halbrundspiegeln liegen vergoldete Zähne als Gradmesser für Reichtum, umgeben vom Grundnahrungsmittel Reis, das oft der täglichen Ernährung mangelt. »Pedestal on Pedestal« greift nochmals jene Göttin als Thema auf, diesmal an ihren kleinen Füßen abgeschnitten. Sechs solche Motive hat Tallur jeweils gegeneinander symmetrisch zu einem Block verfugt, der als Piedestal-Gebilde mit drei Ecken auf einem oktogonalen Piedestal aus grau plastiklaminiertem Holz lastet. Der noch ahnbaren Gottheit aus feiner Bronze geht so alles Filigrane verloren zugunsten eines protzigen Massivs aus unechtem Material, auch dies Metapher verlustig gegangenen Wertempfindens.

Bis 23.2., Di-Sa 11-18 Uhr, Nature Morte, Weydingerstr. 6, Mitte, Telefon 206 548 77,
www.naturemorte.com

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