»Wir haben gezeigt, dass wir es schaffen können«

Von Zwangsräumungen bedrohte Spanier schöpfen Hoffnung / Volksinitiative sieht Sozialmiete für Bedürftige vor

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 3 Min.
Dass verschuldete Familien ihre Wohnungen verlieren, ist beinahe Alltag in Spanien. 2012 schlugen die Gerichtsvollzieher zwischen Cádiz und Oviedo bisweilen an die 500 Mal pro Tag zu. Doch immer weniger Betroffene sind bereit, das als schicksalhaft hinzunehmen, und wehren sich organisiert.

»Ja, wir schaffen es«, tönte es von den Zuschauerbänken im spanischen Parlament am Mittwochabend. Dass die Rufer sofort aus dem Saal geräumt wurden, tat ihrer Freude keinen Abbruch. Sie hatten gerade einen Sieg errungen, der viele Familien im Land, die von Zwangsräumung bedroht sind, wieder hoffen lässt. Die regierende Volkspartei (PP) stimmte im Parlament einer entsprechenden Volksinitiative (ILP) zu.

1,5 Millionen Menschen hatten die ILP mit ihrer Unterschrift unterstützt. »Das ist ein klarer Sieg der Demokratie«, sagte Ada Colau, nachdem auch sie aus dem Kongress geworfen worden war. Kürzlich hatte sie für die »Plattform der Hypothekenbetroffenen« (PAH) noch die Notwendigkeit der ILB vor den Abgeordneten begründet.

»Wir haben gezeigt, dass wir es schaffen können«, sagte Colau vor Journalisten, Betroffenen und Unterstützern, die sich an diesem kalten Tag vor dem Parlament in Madrid versammelt hatten. Die PAH und die Empörtenbewegung, die federführend hinter der Initiative stehen, haben allen Widerständen getrotzt und nicht aufgegeben. Dabei hatte PP-Sprecher Alfonso Alonso ursprünglich ein Veto gegen die ILP angekündigt. Doch der enorme Druck hat die von Korruptionsvorwürfen gebeutelte Partei wohl zum Umdenken bewogen.

Zum plötzlichen Schwenk der Konservativen trug wohl auch bei, dass sich am Dienstag zwei Rentner auf Mallorca das Leben nahmen. Das Ehepaar in Calvià hatte die Räumungsankündigung erhalten. Statt Wohnungslosigkeit und bitterster Armut entschlossen sich die 68 und 67 Jahre alten Leute zum Suizid.

400 000 Familien haben bereits ihre Wohnung verloren, und noch gehen die Zwangsräumungen weiter, noch immer täglich bis zu 500 Mal. Die ILP will nun die Probleme an der Wurzel packen. Vorgesehen ist, dass die Hypothekenschuld mit der Rückgabe der Immobilie an die Bank - wie in den USA üblich - beglichen ist. Bisher verlieren die Familien wegen der extremen Arbeitslosigkeit, derzeit 26,1 Prozent, nicht nur die Wohnung, weil sie Kredite nicht mehr bedienen können, sondern bleiben zudem auf hohen Schulden sitzen. Die Banken übernehmen die Wohnungen, wenn sie nicht gewinnbringend versteigert werden können, bisher nur zur Hälfte des Schätzwerts. Die Restschuld bleibt bei den Betroffenen und wächst durch Verzinsung weiter.

Die Initiative schlägt nun eine sogenannte Sozialmiete vor, damit die Betroffenen in ihren Wohnungen bleiben können. Ohnehin könnten diese kaum wieder vermietet werden und würden verfallen. Die Sozialmiete soll nun 30 Prozent des jeweiligen Familieneinkommens nicht übersteigen.

Sowieso wollen immer mehr Spanier nicht hinnehmen, dass Banken mit Steuermilliarden gerettet werden, während infolge der von den Banken mitverschuldeten Wirtschaftskrise zahlungsunfähige Familien aus ihren Wohnungen fliegen. Letzteres verstößt im übrigen auch gegen Spaniens Verfassung, in der das »Recht auf eine menschenwürdige und angemessene Wohnung« verankert ist. Schon in zwei Fällen hat nun der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Räumungen wegen fehlender Ersatzwohnungen ausgesetzt.

Bisher ist aber nur eine Schlacht gewonnen, meint Colau. Nun gehe es darum, den Druck zu verstärken, damit die Gesetzesinitiative nicht »verwässert« wird. Deshalb rief sie die Bevölkerung auf, den Teilsieg am Samstag auf einer Großdemonstration in Madrid zu feiern.

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