Schüsse im armenischen Wahlkampf

Wiederwahl des amtierenden Präsidenten Sargsjan scheint gewiss

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.
Der heutige Montag ist für die werktätigen Armenier arbeitsfrei: Sie sind zur Präsidentenwahl aufgerufen. Vor fünf Jahren waren der Wahl blutige Unruhen gefolgt. Diesmal scheint Amtsinhaber Sersh Sargsjan jedoch ohne ernsthafte Konkurrenz zu sein.

Auf den 63-jährigen Präsidentschaftskandidaten Paruir Airikjan, Dissident schon zu sowjetischen Zeiten und heute Vorsitzender des Bündnisses »Nationale Selbstbestimmung«, wurden am 31. Januar mitten im Zentrum Jerewans mehrere Schüsse abgefeuert. Der Politiker lag danach für zehn Tage im Krankenhaus und beantragte beim Verfassungsgericht eine zweiwöchige Verschiebung der für den 18. Februar geplanten Präsidentenwahl. Durch die Verletzung habe er wichtige Wahlkampftermine nicht wahrnehmen können, was seinen Zustimmungsraten geschadet habe, begründete Airikjan den Antrag. Allerdings galt er schon vor dem Anschlag als chancenloser Außenseiter. Umfragen billigten ihm nur knapp fünf Prozent der Stimmen zu. Eine Woche vor dem Wahltermin zog Airikjan seinen Antrag denn auch zurück.

Zwar wurden nach dem Attentat zwei Tatverdächtige festgenommen, unklar blieben aber sowohl die Motive für den Anschlag als auch die wahren Gründe für den Antrag auf Wahlverschiebung wie für den Rückzieher. Edgar Wardanjan vom Armenischen Zentrum für nationale und internationale Studien vermutete sogar einen Komplott: Airikjan habe die Wahlverschiebung mit ausdrücklicher Billigung des amtierenden Präsidenten Sersh Sargsjan beantragt. Damit sollten die Gesellschaft verunsichert und die »Atmosphäre des Schreckens weiter vertieft« werden, sagte Wardanjan dem Online-Nachrichtenportal EurasiaNet.

Sersh Sargsjan wurde 1954 in Berg-Karabach geboren, jener von Armeniern bewohnten Region, die sich 1988 von Aserbaidshan losgesagt hatte, was zu einem verlustreichen, bis heute ungelösten Konflikt zwischen den beiden Nachbarländern führte. Er war bereits Regierungschef, als er 2008, zum Präsidenten der Republik Armenien gewählt wurde, mit ausdrücklicher Unterstützung seines Amtsvorgängers Robert Kotscharjan, der ebenfalls aus Berg-Karabach stammt. Beiden wirft die Opposition Manipulation der Abstimmungsergebnisse vor. Bei der Wahl im Februar 2008 hatte Sargsjan seinen wichtigsten Rivalen Lewon Ter-Petrosjan laut offiziellem Resultat weit hinter sich gelassen. Ter-Petrosjan, der als erster Präsident des unabhängigen Armeniens von 1991 bis 1998 amtiert hatte, forderte jedoch die Annullierung der Wahl wegen Fälschung und rief seine Anhänger zu Demonstrationen auf. Bei Massenunruhen am 1. März jenes Jahres kam es zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften, zehn Menschen starben.

Lewon Ter-Petrosjan, inzwischen 68 Jahre alt, tritt diesmal nicht wieder an. Nicht nur das: Keine der großen Oppositionsparteien nominierte einen Kandidaten. Dennoch hat Sargsjan neben Airikjan fünf weitere Kontrahenten, die allerdings nur auf magere Zustimmungswerte kommen. Das betrifft den ehemaligen Regierungschef Hrant Bagratjan ebenso wie den früheren Innenminister Raffi Owanisjan, Berg-Karabachs ehemaligen Außenminister Arman Melikjan, den Philologen Wardan Sedrakjan wie den Politologen Andrias Gukassjan (siehe Interview).

Weit vorn in den Umfragen liegt mit gut 60 Prozent Sersh Sargsjan. Er gilt als Russlands einziger treuer Verbündeter unter den Staatsoberhäuptern im Südkaukasus, unter seiner Präsidentschaft haben russische Unternehmen etliche armenische Betriebe aufgekauft.

Die liberale Opposition, unterstützt von den einflussreichen, gut betuchten Auslandsarmeniern, sucht dagegen wie Nachbar Georgien den Schulterschluss mit dem Westen, vor allem mit dessen Führungsmacht, den USA. Sie glauben auch, dass es Moskaus lange Hand war, die eine Normalisierung der armenischen Beziehungen zum Erbfeind Türkei, wie sie 2008 unter Schweizer Vermittlung ausgehandelt worden war, scheitern ließ: Sargsjan sei vom Kreml zurückgepfiffen worden. Tatsache ist, dass Russland in Armenien seine einzige Truppenbasis südlich des Kaukasuskammes hat: Bei Gümry - dem einstigen Leninakan - stehen rund 5000 russische Soldaten.


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»Ein parasitäres System«

Der Polit- und Umweltaktivist Andrias Gukassjan hat seine Präsidentschaftskandidatur mit einer Protestaktion verbunden: Seit dem 21. Januar campierte der 42-Jährige auf der Straße gegenüber der Nationalversammlung in Jerewan und forderte: »Stoppt die Schwindelwahlen«. Überdies trat er in den
Hungerstreik. Für »nd« befragte ihn Franz Altmann nach seinen Beweggründen.

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