Zauberworte

Joseph von Eichendorff: Blick in die Handschrift

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Welt, die er entwarf, war sorgenfrei und voller Blumen. Ein altes Schloss mit vielen Türmen steht da, der Held, ein Müllerbursche und Wandersmann, erreicht es bei schönstem Mondschein und wird auch gleich in ein herrschaftliches Zimmer geführt, wo ein üppiges Mahl auf ihn wartet. Und unten, vorm Fenster, rauscht die Linde. So heiter wie in seiner Erzählung »Aus dem Leben eines Taugenichts« ist's im Leben des Joseph von Eichendorff freilich nie zugegangen. Er fristete, als er in die Idylle floh, sein Dasein als mäßig bezahlter Verwaltungsbeamter, erst in Danzig, dann in Königsberg und Berlin. Das sonnige Italien, das sein Held genießen darf, hat er nie gesehen. Als er sein Büchlein schrieb, das 1826 erschien, musste er sich von Goethe und den Bildern italienischer Landschaften inspirieren lassen. Reisen konnte er nur im Traum.

Geboren vor 225 Jahren, am 10. März 1788, war er behütet in einem schlesischen Schloss aufgewachsen, aber dann hatte der Vater durch Spekulationen seinen Besitz verloren, und weil Eichendorff nur eine Landadlige ohne Reichtümer heiratete, war er gezwungen, seine Tage im Büro zu verbringen. Da saß er, eingeschnürt von preußischen Vorschriften, und stahl sich aus dem eintönigen, ereignisarmen Leben, indem er Gegenden voller Anmut und Licht ersann. Er vertiefte sich in »Des Knaben Wunderhorn« von Arnim und Brentano und fand schreibend allmählich zu seiner Sprache, zur schlichten und doch so kunstvollen Melodie seiner Gedichte. Die Verse sahen aus, als stammten sie aus ferner, uralter Zeit. Eichendorff wurde der populärste Romantiker dank seiner Leichtigkeit.

1835 entstand eins seiner schönsten Gedichte, eine einzige Strophe nur, vier Zeilen, überschrieben »Wünschelrute« und mit dem berühmten Beginn: »Schläft ein Lied in allen Dingen«. In diesen Versen steckt Eichendorffs ganze Poetik, die Überzeugung, dass der geheimnisvolle Zusammenhang der Dinge erahnt und erfasst werden kann, wenn der Dichter nur das richtige, das Zauberwort findet. Man kennt die Zeilen, wenn man nicht gerade die historisch-kritische Ausgabe zu Rate zieht, nur in der endgültigen Fassung, die 1838 erstmals im »Deutschen Musenalmanach« erschienen ist und seitdem in allen Eichendorff-Editionen steht. Erst jetzt dokumentiert eine attraktive Publikation des Wallstein-Verlages den Ursprung der Strophe. Sie zeigt in einer Mappe mit sechs Großfolio-Faksimiles unbekannte Gedichthandschriften, die 2009 vom Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt (Main) erworben wurden, darunter den ersten Entwurf des Vierzeilers.

Der Weg zur fertigen Strophe war weit. Am Beginn stand das Gedicht eines anderen, ein Sonett, das die Empfindungen beschrieb, die beim Musikhören entstehen. Auch Eichendorff plante ein Sonett, änderte dann aber seinen Plan und tendierte zunächst zu einem fünfzeiligen Gedicht im Volksliedton. Nur der Anfang stand fest: »Es schläft ein Lied in allen Dingen«. Am Ende schenkte er sich das erste Wort und auch noch eine Zeile. Renate Moering, die die Faksimile-Edition besorgte, hat im Kommentar die Schritte bis zur endgültigen Fassung akribisch beschrieben.

In einer Schmuckhülse steckt neben der schmalen Broschur, die den Kommentar enthält, ein Mäppchen mit drei großformatigen, beidseitig bedruckten und gefalteten Faksimiles der handgeschriebenen Bögen sowie den Transkriptionen, die das Entziffern der Handschrift erleichtern. Die Seiten zeigen die Arbeitsstufen mit allen Entwürfen, Korrekturen, Notizen, Bemerkungen. »Der Dichter soll den Zauber lösen«, schrieb Eichendorff an den Rand der Verse, aus denen sein Gedicht »Wünschelrute« hervorging. »Sieh zu, daß du triffst den rechten Klang!«

Man liebt die federleichten Strophen und märchenhaften Erzählungen dieses Dichters und weiß seltsamerweise herzlich wenig von ihm. Es liegt wohl daran, dass er selber nie Aufhebens von sich gemacht hat. Sein Leben, ruhig und unauffällig, taugte auch wenig zu geräuschvoller Selbststilisierung. So blieb er im Hintergrund, ein liebenswürdiger, im Vormärz auch schon mal bissiger Poet und liberaler Katholik, einer, der 1848 mit den Armen fühlte, das »Säbelregiment« attackierte, aber der Revolution nichts abgewinnen konnte. Zuletzt ergänzte Eichendorff noch seine Autobiografie um zwei Kapitel. Es wurden wieder nur Betrachtungen. Er selber kam auf den Seiten kaum vor. 1857 starb er in Neiße so still, wie er gelebt hatte.

»Es schläft ein Lied in allen Dingen …« Unbekannte Gedichthandschriften von Joseph von Eichendorff. Faksimile-Edition, hrsg. von Renate Moering, 40 Seiten, dazu 6 Großfolio-Faksimiles samt 6 Seiten Transkriptionen als lose Blattsammlung. Mappe und Broschur in Schmuckhülse, 19,90 €.

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