Kampf war sein Lebenselement

Wolfgang Schröder über Wilhelm Liebknecht, Soldat der Revolution

  • Ursula Herrmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein beeindruckendes Buch: Lebensstationen Wilhelm Liebknechts aus der Feder des besten Liebknecht-Kenners. Mehr als 40 Jahre sammelte Wolfgang Schröder Material, durchforstete Archive, arbeitete den an die Tausende Blatt zählenden Nachlass von Wilhelm Liebknecht in Moskau durch, damals noch im IML beim ZK der KPdSU. Fand er neben seinen anderen Aufgaben Ruhe, dann publizierte er zu Teilbereichen aus Liebknechts Leben. Für eine Gesamtbiografie ließ ihm der Tod keine Zeit mehr. Dennoch wird in diesem, aus seinem Nachlass von Renate Dreßler-Schröder und Klaus Kinner zusammengestellten Band Liebknechts Lebensleistung lebendig, formt sich ein Bild seiner prallen Persönlichkeit - auch durch Schröders Schreibstil: Fakten gesättigt, Widersprüchliches benennend, zugespitzt formuliert, mit unkonventionellen Wertungen.

Die Darstellung ist zumeist packend, nicht zuletzt durch die Einbeziehung von Erinnerungen etwa an die Revolution 1848/49. Liebknecht nahm als Freischärler im September 1848 am republikanischen Aufstand in Baden teil. Mitte Mai 1849 in Freiburg durch die Reichsverfassungskämpfe aus dem Gefängnis befreit, agierte er unerschrocken in der badischen Volkswehr bis zum Grenzübertritt ins Exil am 5. Juli 1849. In diesen Kämpfen fand er beste Freunde für sein künftiges Wirken in der Arbeiterbewegung. Die Revolution 1848/49 war die eine Prägemarke in Liebknechts Leben. Selbst Mitglied des Bundes der Kommunisten, verkörperte er die Kontinuität zur wieder auflebenden Arbeiterbewegung der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts, in der er die Revolution als feste Tradition verankerte.

Die zweite Wegscheide war die Persönlichkeit von Karl Marx und seine zusammen mit Friedrich Engels entwickelte Lehre. Im Londoner Exil erwuchs eine herzliche Freundschaft. Obwohl dieser Abschnitt 1851/52 abbricht, zieht sich doch durch das gesamte Buch Liebknechts Rolle als Schüler und enger Freund von Marx, als Vermittler seiner Lehren. Es zeugt von Liebknechts Selbstbewusstsein, wenn er Engels gegen Ende des Sozialistengesetzes schreibt, er habe »wahrhaftig, wenn auch in anderer Art, so viel wie Du selbst gethan …, um Marx’ Lehre und Weltanschauung zu verbreiten«. Dem Spannungsfeld der beiden ist ein eigener Abschnitt gewidmet.

Schröders Herangehen wird im Abschnitt »Wilhelm Liebknechts Wirken in Sachsen: 1865-1881« besonders deutlich. Er vermittelt viele treffende Einzelheiten und scharfsinnige Wertungen, aber nicht immer die gravierenden Ereignisse. So schildert er Liebknechts Schrebergarten, übergeht aber den Prozess der Parteigründung 1868/69. Der Abschnitt »Blickpunkt Borsdorf: August Bebels und Wilhelm Liebknechts Asyl 1881-1884« zeigt eindringlich das vielschichtige Zusammenspiel der beiden, ihr freundschaftliches, auch kritisches Einvernehmen und ihre ergänzenden Eigenschaften. Dadurch konnten beide die Herausbildung einer Massenpartei fördern, die sich zu den Lehren von Marx und Engels bekannte. Schröder zeigt aber auch ihr unstetes Leben, die Verfolgungen und Liebknechts finanzielle Misere.

Liebknechts Eigenschaften als »Volkstribun« rücken in »Wilhelm Liebknechts Agitationsreise in den USA im Herbst 1886« in den Vordergrund, dem letzten chronologischen Abschnitt. Es war eine Glanzleistung des Sechzigjährigen, physisch und rhetorisch. In Deutsch oder Englisch, auf Versammlungen in 15 Bundesstaaten, mit oft Tausenden Teilnehmern stimmlich gefordert, erläuterte er Gegenwartsaufgaben und das sozialistische Ziel, immer mit Berufung auf Marx. Die internationale Ausstrahlung Liebknechts (sein Spezialgebiet: »Außenminister«) kommt hier zum Tragen. Seine Rolle in der II. Internationale, die engen brieflichen und persönlichen Verbindungen zu Repräsentanten der sozialistischen Parteien anderer Länder in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts fehlen hingegen. Auch sein Kampf gegen Militarismus und Krieg wird nur gestreift. In den »Schlussbetrachtungen« resümiert Schröder Erfahrungs- und Erlebnisbereiche, die Liebknecht prägten, und die Wirkungsfelder: Gewerkschaftsbewegung, Arbeiterpresse, Parlamentstaktik, Internationalismus und Parteiarbeit.

Die Bibliografie der Veröffentlichungen Wolfgang Schröders unterstreicht seine außerordentliche Schaffenskraft und bezeugt die Gediegenheit der DDR-Historiographie. Den Herausgebern ist zuzustimmen: »Diese Arbeit setzt für die Rezeption von Leben und Werk Wilhelm Liebknechts Maßstäbe.«

Wolfgang Schröder: Wilhelm Liebknecht. Soldat der Revolution, Parteiführer, Parlamentarier. Ein Fragment. Hg. v. Renate Dreßler-Schröder und Klaus Kinner. Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus. Karl Dietz Verlag. 478 S., geb., 34,90 €.

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