Merkels Pakt für Wettbewerbsfähigkeit

Alexander Ulrich und Steffen Stierle über eine neue Qualität neoliberaler Krisenpolitik

  • Lesedauer: 4 Min.

In den letzten Jahren wurden in der EU in Reaktion auf die Krise zahlreiche Pakte und Pakete beschlossen. Fiskalpakt, Six-Pack, Euro-Plus-Pakt und Two-Pack sind nur einige Beispiele. Das neue Regelwerk, das sich die EU damit gegeben hat, wirkt auf den ersten Blick ziemlich komplex. Die politische Logik dahinter ist jedoch recht einfach: Die hohe Staatsverschuldung wird zum Vorwand genommen, um einerseits einen permanenten Druck zur Kürzung öffentlicher Ausgaben aufzubauen und andererseits eine immer weitere Übertragung haushalts-, wirtschafts- und sozialpolitischer Kompetenzen aus den nationalen Parlamenten auf die EU-Institutionen zu organisieren.

Um dies zu begründen, wurde die Staatsverschuldung in den Mittelpunkt der Krisenanalyse gerückt. Sie ist demnach nicht Folge der globalen Finanzkrise, des Steuerdumpings in der EU und der gigantischen Bankenrettungsaktionen, sondern von staatlicher Verschwendungssucht und Parlamenten, die nicht fähig sind, mit Geld umzugehen. Diese Logik zieht sich durch sämtliche Maßnahmen. In ihrer Gesamtheit ergeben sie ein effektives System des immer weiteren Abbaus von öffentlicher Beschäftigung, Renten und Sozialleistungen und einer immer weiteren Einschränkung demokratischer Gestaltungsmöglichkeiten.

Mit der Einführung des Fiskalpakts zum Jahreswechsel 2012/2013 wurde dieses System abgerundet. Der neoliberale und autoritäre Umbau der EU ist damit jedoch nicht abgeschlossen. Im Europäischen Rat werden die nächsten Schritte bereits seit Mitte 2012 vorbereitet. Anhand eines Reformpapiers von Herman Van Rompuy, dem Präsidenten des Europäischen Rates, wurde ein Plan zur „Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion“ entwickelt, der eine ganze Reihe von weitgehenden, neuen Schritten der Europäischen Integration beinhaltet.

Ein Kernelement sind bilaterale Verträge, die jedes Euroland mit der Europäischen Kommission abschließen soll. In diesen Verträgen sollen sich die Euroländer in jedem Jahr zu wirtschaftspolitischen Strukturreformen verpflichten. An diesen Vorschlag knüpfte Angela Merkel an, als sie Ende Januar beim Weltwirtschaftsforum in Davos die Idee für einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ lancierte.
In ihrem Redebeitrag sagte sie, dass ein „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ analog zum Fiskalpakt beschlossen werden sollte, in dem sich die Mitgliedsländer zu spezifischen Reformen verpflichten, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Beispielhaft führte sie u.a. Reformen an, die die Lohnkosten senken und die Verwaltungen effizienter machen.

Dabei geht es laut Merkel nicht darum, die Wettbewerbsfähigkeit im Mittelmaß anzugleichen, sondern sich an den Besten – damit meint sie Deutschland – zu orientieren, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU beziehungsweise der Eurozone insgesamt zu erhöhen. Für die europäische Krisenpolitik bedeutet das zwei Akzentverschiebungen:

Merkel steuert auf die zweite zentrale Säule neoliberaler Politik zu. Der bereits aufgebaute, permanente Druck auf öffentliche Ausgaben soll um permanente neoliberale Strukturreformen ergänzt werden.
Merkel lenkt den Fokus auf die globale Ebene. Es geht nicht mehr um die Ungleichgewichte innerhalb der EU, sondern die Rolle der EU in der Welt. Auf beide Aspekte möchten wir im Folgenden kurz eingehen.

Während bisher der Fokus auf Ausgabenkürzungen lag, kommt es nun zu einer Akzentverschiebung zugunsten von Strukturreformen. Neoliberale Politik bedeutet nicht nur, den Staat als „Umverteiler“ bedeutungslos zu machen, indem auf der einen Seite Reiche und Unternehmen steuerlich entlastet werden und auf der anderen Seite Renten und Sozialleistungen zurückgefahren werden. Neoliberale Politik bedeutet auch, die Ökonomie so zu organisieren, dass zwecks der Durchsetzung allgemeiner Interessen möglichst wenig in das Marktgeschehen eingegriffen wird.

Deswegen erfordert ein neoliberaler Umbau der EU Strukturreformen. Der „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ soll den Mechanismus dafür schaffen. Die Maßnahmen, zu denen sich die Länder verpflichten sollen, werden genau diese Neoliberalisierung vorantreiben, indem sie Regulierung im Bereich der Arbeitsmärkte und der gesamten Ökonomie abbauen. Das ist freilich im Interesse der Unternehmen, deren Profitstreben dann weniger durch Lohnstandards, Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz oder ökologische Vorschriften beschränkt wird. Die Verlierer sind vor allem die ArbeitnehmerInnen, auf deren Kosten diese Profitmaximierung realisiert werden soll.

Insgesamt wird die europäische Ökonomie dadurch wettbewerbsfähiger. Wenn weniger soziale und ökologische Standards eingehalten werden müssen und die Löhne niedriger sind, dann wird die Produktion billiger. Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, die Leistungsbilanzüberschüsse der EU bzw. der Eurozone weiter zu erhöhen. Das leitet über zur zweiten Akzentverschiebung: der Rolle der EU in der Welt. Merkel begründet den Pakt auch damit, dass die EU ihren Wohlstand nur halten kann, wenn sie „global schlagkräftige Unternehmen“ aufbaut und durch ein Engagement für Freihandel neue Märkte erschließt. Es ist jedoch eine Binsenweisheit, dass alles was irgendwo exportiert wird, andernorts importiert werden muss. Größere Überschüsse der EU bedeuten größere Defizite andernorts.

Die Probleme mit den Ungleichgewichten werden auf die globale Ebene verschoben. Der „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ verfolgt die imperialistische Strategie, wenn nicht durch militärische Intervention, so doch durch ökonomische Aggressivität, den Wohlstand der europäischen Eliten auf Kosten des Restes der Welt zu erhöhen.

Kurzum: Dieser Pakt muss gestoppt werden. Er bedeutet eine neue Qualität der neoliberalen Krisenpolitik, er heizt die Umverteilungsmaschinerie zu Gunsten der Superreichen weiter an. Widerstand ist bitter nötig – nicht nur durch linke Parteien in den Parlamenten, sondern vor allem auch durch Gewerkschaften, Eine-Welt-Organisationen und soziale Bewegungen.

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