Werbefotos für Abgründe

Der Fotograf Helmut Newton in einer Doppelausstellung

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn Helmut Newton, der Fotograf, selber in eine Kamera blickte, schien da noch im ernsten oder gar arrogant-teilnahmslosen Gesicht ein Funken Selbstironie aufzublitzen; ein extrem beiläufig gesetzter Tipp war ahnbar, bloß nicht alles so bedeutsam zu finden. Nicht die Posen, nicht die Nacktheit, nicht die Instrumentalisierung des Erotischen, nicht den glamourösen Aufputz. Sehr wohl aber ernst zu nehmen in diesem Werk: die disziplinierte Ekstase in den Fotos oder dieses Gold der Erscheinung, das doch stets ein Gold des Vergehens ist - was man just solchen Leuten besonders ansieht, die es mit allem Luxus zu verbergen suchen.

Im Berliner Museum für Fotografie läuft eine Doppelausstellung (»World without Men/ Archives de Nuit«), die Newtons große Gabe offenbart, hinter Lasur das Gewebe zu zeigen oder Absurditäten der Existenz in malerische Spektakel zu kleiden. »World without Men«, so hieß ein Bildband von 1984. Quasi eine Sammlung von Newton-Ikonen, die nun in dieser Ausstellung zu sehen sind. Spürbar ist des Fotografen Lust am Wechsel von Farbe und Schwarz-Weiß - das eine immer dann, wenn das andere gerade en vogue ist. Welt ohne Männer? Sie sind anwesend, aber Newton zeigt ihr Verblassen unterm Präsenz-Zugriff der Weiblichkeit - eines Zugriffs just auf das ehrgeizig Energische, ja das Muskulöse und Machtmaschinelle des Maskulinen. Newtons Frauen verwandeln so, durch souveräne, ausgestellte Kraft, den Mann in ein schwaches Geschlecht. Ihn und sein Dominanzstreben. Unfreundliche Übernahme. Dies mag bei Feministinnen, noch immer, das emanzipierte Blut gefrieren lassen - der Fotograf schafft durch provokativen Geschlechtertausch des Herrschens einen verstörenden Fremdblick auf jedes Machtgehabe. Es passt dies nicht zu Frauen? Deshalb sticht es in die Augen. Und immerhin sieht es bei den Damen, die Newton vor die Kamera holte, trotzdem schön aus. Oder er zeigt Schönheit als etwas, das in bestimmten Zusammenhängen ebenso entmutigend wirken kann wie das Hässliche. Suche nach dem Punkt, an dem Heiß und Kalt ununterscheidbar ineinanderstürzen.

Newton (1920 bis 2004) hat ein Leben lang der Mode gedient - um keiner einzigen Mode zu verfallen. Auf einem Werbefoto für Lederjacken sieht man eine Frau zwischen zwei Männern, sie hat keinen Konflikt, sie nimmt beide, und das Ganze vor einer abweisenden Industrieanlage. Ein Foto soll Reklame sein - und reklamiert für sich die Erzählung: Freiheit ist eine Lust, der kein Ort jemals Grenzen zieht.

Erhaben gelangweilt sitzt eine schöne Brünette im goldenen Badeanzug auf einer Treppe, mit Drink in der Hand, den Kopf auf die frisch manikürte Hand gestützt. Auf den Treppenstufen dahinter: drei Männer in hautengen Badehosen, geölte Kraft - und doch nur Spielzeug. Oder da, die schwarz-weiß-gescheckt Bekleidete, die vor einem niedrig fliegenden Doppeldecker flieht wie vor einem Riesenkäfer, der Technik heißt - wie Gary Grant im Hitchcock-Thriller »Der unsichtbare Dritte«. Aber wie anders greifend die Newton-Szene, ein Bild wider den männlichen Routinemut - hier rennt ein Lebewesen, tief gefangen bleibend im kreatürlichen Fluchtversuch. Oder: die Trauerspiel betreibende Witwe auf einer Gondel in Venedig, das Gesicht bedeckt von feinster schwarzer Spitze, überhaupt alles schwarz, sogar der Schmuck am Handgelenk - es gibt kein Gefühl, das nicht irgendwann einer Inszenierung von Gefühlen anheimfiele.

Oder diese seltsame Frau vor Telegrafenmast-Monstern, in eine astronautisch kühle Kleidung gehüllt wie in einen eng anliegenden Schutzanzug, den Körper gekrümmt wie in aufkommendem Sturm, die Hände schützend an den Kopf gepresst - 1965: vorweggenommene Zukunft aus Verstrahlung, Verseuchung, Vergiftung. Welt ohne Männer, es stimmt wohl nicht ganz: Es ist eine Welt der Macher, wo doch Verhinderer gebräucht würden.

Die Dame, die in kolonial leuchtendem Tropenanzug durch die Wüste schreitet wie ein Offizier, die Reitpeitsche in der Hand, ist dann wieder ganz die pervertierte Männlichkeit selber; in ihrem (erzwungenen?) Gefolge eine Afrikanerin im weiten oasengrün schönen Kleid, auf den Armen ein Baby, wahrscheinlich das der Kolonisatorin. Dieses grandiose Foto lässt in der Schwebe, ob da weiße Herrschaft schwarze Herrschaft nachzüchtet, so, wie die Dienerin bereits mühelos eine arrogante Gangart imitiert - oder ob das Verhältnis der beiden bald eine Geschichte gebiert, die Brecht den »Kaukasischen Kreidekreis« nannte. Eine der Frauen in dieser Ausstellung präsentiert ihre Silikonbrüste mit ungeahnter Trefflichkeit in Mülleimernähe, und sehr oft trifft Glamour auf Industriegesellschaft - die Schamlosigkeit jedes Körpers verblasst doch hinter der Gier einer Gesellschaft, die schamlos Natur versklavt und nacktrodet.

»Archives de Nuit«: Nacht-Archive. Damit zeigt die Ausstellung den privaten Newton, den sehr persönlichen Bildautor, der Einblick gibt in ein Skizzenbuch der seelischen Abgründe, der heimlichen Grotesken: ein toter Tiger, Autowracks, aufgerissene Wachsfiguren, den Puppen ähnelnd, denen Kinder die Bäuche öffnen, um das Stroh herauszuholen; das Stroh, das den späteren Erwachsenen meist wirklich zum prägenden Seelenstoff wird.

In »June›s Room‹« dann wird - von Witwe June Newton begründete Tradition in der Helmut-Newton-Stiftung - das Werk eines jeweils anderen Fotografen dem Meister-Werk beigesellt. Diesmal sind es Porträts von François-Marie Banier, einem Franzosen mit dem »Sesam öffne dich« für scheinbar alle Türen der High Society: Caroline von Monaco, Johnny Depp, Andy Warhol, Woody Allen, David Lynch.

Helmut Newton. Versiegelte Gesichter von greller Munterkeit. Oder Trotz des Lebendigen, in schrille Fassungen gezwungen. Oder Bodenberührung, freilich aller konventionellen Haftung enthoben. Oder Schritte in High Heels - und doch Füße, die vor der Leere bangen. Oder mondänes Fließen, in Wahrheit nur das Spiegelbild einer Wundform.

World Without Men/ Archives de Nuit. Helmut Newton Stiftung, Museum für Fotografie in Berlin, Jebenstr. 2. Bis 13. Oktober, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr. Katalog.

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