Zypern überraschend Gipfelstürmer

Parlamentarische Ablehnung des EU-Finanzrahmens war für versammelte Großpolitiker kein Thema

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.
Zypern-Rettung und Syrien standen plötzlich auf der Tagesordnung des EU-Gipfels in Brüssel. Die Beziehungen zu Russland hatten wenig Platz, die Proteste Tausender gar keinen.

Als wäre es langweilig, wenn auf einem EU-Gipfel mal nicht um die Rettung eines Euro-Landes hektisch gefeilscht werden sollte: Plötzlich stand Zypern doch im Rampenlicht des Treffens der 27 Staats- und Regierungschefs gestern und vorgestern in Brüssel. Vorgesehen war das nicht. Vielmehr sollte allein die Euro-Gruppe direkt im Anschluss an den Gipfel die Sache klären. Letztlich wurde auch nichts anderes gemacht (die Entscheidung lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor). Doch nicht nur die Zyprioten selbst, sondern auch einige andere Gipfelteilnehmer fühlten sich dazu berufen, die Diskussion um die 17 Milliarden Euro Schulden bereits früher zu beginnen. Soll dafür der Europäische Rettungsschirm aktiviert werden? Die Tendenz der zahlreichen Wortmeldungen lautete: Ja.

Doch weil dabei auch Deutschland ein Wort mitzureden hat, Bundeskanzlerin Angela Merkel der Hilfe nicht gerade aufgeschlossen gegenübersteht und alles andere als erbaut war, dass Zypern schon auf dem Gipfel ein Thema wurde, konnte mit Beschlüssen keiner rechnen. Blieb als Ergebnis nur der Druck, der auf die Euro-Gruppe aufgebaut wurde. Quasi die Unmöglichkeit, nein zu sagen zu Hilfen aus dem gemeinsamen Rettungsfonds.

Ein weiterer Überraschungsgast war Syrien (Seite 1 dieser Ausgabe), und prompt stellten Zypern und Syrien die Diskussion um Russland in den Schatten. Die Beziehungen der EU zu dem mächtigen Nachbarn im Osten sollte einer der Schwerpunkte der Freitagsitzung sein. »Regelmäßig unterhalten wir uns ja über unsere Beziehungen zu unseren wichtigsten strategischen Partnern«, ordnete Ratspräsident Herman Van Rompuy diesen Tagesordnungspunkt ein. Mehr, als dass die EU weiter den Kontakt pflegen, aber auch mit Vorbehalten die gesellschaftspolitischen Entwicklungen beobachten wolle, sagte der Belgier bei der abschließenden Pressekonferenz aber nicht.

Tags zuvor lag der Schwerpunkt des Gipfels auf der weiteren Wirtschaftsentwicklung in der EU. Der Streit zwischen den beiden Richtungen - Festhalten an der rigiden Sparpolitik oder die Zügel dabei etwas schleifen lassen, um die Wirtschaft und damit das Wohlergehen der Bürger nicht ganz abzuwürgen - fand keinen K.-o.-Sieger. Doch nach Punkten gewann sicher Merkel das Duell mit ihrem französischen Widersacher François Hollande. Denn grundsätzlich will die EU auf ihrem eingeschlagenen Weg fortschreiten: Strenge Haushaltsdisziplin, Aufforderungen an die Mitgliedsstaaten, strukturelle Reformen einzuleiten, um die Haushaltsdefizite dauerhaft niedrig zu halten oder gar überflüssig werden zu lassen. Staaten wie Belgien, die die EU-Hausaufgaben nicht zu erfüllen drohen und nicht den Einfluss eines französischen Staatspräsidenten haben, wurden streng ermahnt, die richtigen Zahlen zu liefern. Gleichzeitig will die EU weiter vorrangig die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen. Sechs Milliarden Euro stünden dafür zur Verfügung, betonte Merkel.

Überraschend: Kein Wort zur Ablehnung des Mehrjährigen Finanzrahmens der EU durch das Europaparlament am Mittwoch und den dadurch nötigen Nachverhandlungen. Kein Wort auch zu den Protesten der Tausenden Menschen, die am Donnerstag in unmittelbarer Nähe zum Ratsgebäude gegen die europäische Austeritätspolitik demonstriert hatten. Ebenfalls kein Wort zu den kritischen Bemerkungen von Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, zu Beginn des Gipfels, der unter anderem sagte: »Wenn ich mir die Tagesordnung des Gipfels anschaue, finde ich wenige verständliche Lösungsansätze für die realen Probleme der Menschen.«

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