Am Ende siegt der kluge Hirte

Stadt Thale unterliegt im Streit um Industriezone

  • Harald Lachmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Seit Jahren wehrte sich die Agrargesellschaft Warnstedt in Sachsen-Anhalt gegen die Errichtung eines überdimensionierten Industriegebiets in ihren Fluren sowie gegen juristische Spitzfindigkeiten der Stadt Thale. Nun gelang es den Landwirten überraschend, das Projekt zu stoppen.

Zuweilen erinnerte der Konflikt, der sich seit Jahren um die fruchtbaren Pachtäcker der Agrargesellschaft Warnstedt in Sachsen-Anhalt abspielte, an den biblischen Streit zwischen Goliath und David. Denn Albrecht Kloß, Geschäftsführer des Agrarbetriebes, scheint ein David - zumindest im Zwist mit der benachbarten Stadt Thale und namentlich deren einflussreichen Bürgermeister Thomas Balcerowski (CDU). Kloß wehrt sich vehement gegen ein von Thale forciertes, riesiges Industrieareal direkt vor der Hofeinfahrt des Agrarbetriebes, das diesen regelrecht einkesseln würde.

Doch man weiß ja: Am Ende siegte der kluge Hirte. Das ging Kloß womöglich durch den Kopf, als Anfang März Post vom Oberverwaltungsgericht Magdeburg eintraf. Denn darin erklärten die Richter den bisherigen Bebauungsplan für das hundert Fußballfelder große Industriegebiet im Ortsteil Warnstedt für unwirksam. Ihnen stießen vor allem gravierende Mängel bei der Abwägung der Interessen der Landwirte sowie weiterer Anrainer im Dorf auf. Zudem entdeckten sie eine Geringschätzung der Belange des Boden- und Umweltschutzes. Und auch wenn es nicht ausdrücklich gesagt wird, liest Kloß aus dem Urteil auch heraus, »dass das geplante Industriegebiet alles in allem überdimensioniert ist«.

Vermesser als Vortrupp

Damit fand der Kampf zwischen David und Goliath vorerst ein überraschendes Ende. Signale dafür gab es indes schon vorher. So stärkte bereits zu Jahresbeginn das Oberlandesgericht in Naumburg in einem anderen Prozess den Bauern den Rücken. Denn es befand, dass Feldflur, die aufgrund anderer Urteile der agrarischen Weiternutzung entzogen werden soll, zumindest noch abgeerntet werden darf.

Balcerowski hatte das anders gesehen und die Bauern staatsautoritär und mit Polizeieskorte im August 2012 von ihren vormaligen Pachtäckern jagen lassen. Dabei ging es zunächst nur um ein paar hundert Quadratmeter Raps. Doch dieser schmale Streifen gehörte bereits zu jenem großen Flurstück, auf dem er unbedingt das Gewerbegebiet errichten möchte. Belastbare Investorenanfragen wies man zwar bisher nicht vor, doch zumindest sprach das Amtsgericht Wernigerode der Bodestadt die bisherigen Äcker schon rechtskräftig zu. So empfand es der Rathauschef wohl als einen symbolträchtigen und zugleich strategisch cleveren Schachzug, als er im Sommer einen Vermessungstrupp in die dichte Vegetation beorderte: Er sollte dort erste Pflöcke für ein Erschließungsbauwerk einschlagen. Es wirkte wie ein Brückenkopf. Nun ist das aber erst einmal vom Tisch. Und Thale bleibt zunächst auf 130 000 Euro sitzen, die man ursprünglich bei den Bauern einklagen wollte - als Mehrkosten, die deren Widerstand verursacht habe. Und nun kommen womöglich weitere Millionen für unnütze Erschließungsarbeiten im Ackerrevier hinzu. Sie könnten am Ende bei dem Bemühen fehlen, Thales Nordraum zu einem Wirtschaftszentrum von überregionaler Bedeutung zu profilieren.

Doch das ist nicht Schuld der Bauern. Denn es gab immer Alternativen, mit denen diese leben könnten. »Wir haben schon vor Jahren eine nahe Industriebrache vorgeschlagen, doch im Rathaus hat man das stets brüsk ignoriert«, so Kloß. Stattdessen bürstete der Stadtrat, den Balcerowskis CDU mit 21 von 34 Sitzen klar beherrscht, alle 38 Einwände von Anrainern des riesigen Gewerbegebietes »in nicht einmal zehn Minuten im Block ab«. Für den Agraringenieur ein »klarer Fall von Verantwortungslosigkeit«.

Dichter CDU-Filz

Und jenen »geradezu blinden Eifer«, mit denen Bürgermeister, Stadtrat und Verwaltung das nunmehr gescheiterte Projekt vorangetrieben hätten, attestieren die Landwirte auch anderen Entscheidern der Region. Immerhin ist Balcerowski seit 2007 auch Chef der CDU-Fraktion im Halberstädter Kreistag. Es drängt sich der Eindruck auf, dass im ganzen Harzkreis ein dichter CDU-Filz regiert - bis hinein ins Umweltamt und selbst in Teile der Agrarlobby.

Zuvor verfügte bereits das Umweltamt des Kreises, einen 150 Meter langen Windschutzstreifen entlang der Warnstedter Felder zu fällen: Er wurde für die Erschließung des Industrieareals als hinderlich betrachtet. Dabei hatten die Bauern die Baumreihe einst errichtet, um Erosionsschäden zu begegnen. Und noch immer wollen dieselben Umweltbeamten den Agrarbetrieb behördlich zwingen, dicke Rohre unter ihren Felder zu dulden, die alles Niederschlagswasser des geplanten Industrieareals ableiten. Auch dagegen klagt der Agrarbetrieb nunmehr, da der Bach, in den das Wasser fließen soll, bereits jetzt beidseitig Ackervernässungen verursacht.

Fördermittel zugesagt

Aber Albrecht Kloß gehen noch weitere Ungereimtheiten durch den Kopf: »Wie konnte das Land Sachsen-Anhalt bereits Ende 2010, also noch vor dem Beschluss des Stadtrates zum Bebauungsplan, gut eine Million Fördermittel für das Projekt zusagen?«, fragt er. »Gibt es denn keine Kontrollbehörden?« Und all dies vor dem Hintergrund, dass sich bislang nicht ein einziger »echter Investor« für Warnstedt fand. Stattdessen dämmerten allein im Harzkreis 400 Hektar erschlossene Gewerbefläche ungenutzt dahin.

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