Beargwöhnte Attraktion

Kritiker sehen in der Internationalen Bauausstellung eine Einladung zur Privatisierung öffentlicher Räume

  • Folke Havekost, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Zwischen Modellprojekten und Mietskasernen sucht die Internationale Bauausstellung (IBA) einen Weg in der wohnungsarmen Metropole Hamburg.

»Stadtentwicklung kann man erst anfassen, wenn sie Architektur geworden ist«, sagt Uli Hellweg, der Geschäftsführer der IBA. Stadtentwicklung zu prognostizieren, ist gleichwohl schon früher möglich. Und es wird auf sehr divergierende Weise getan. Ausgerechnet zur Musik der Band »Einstürzende Neubauten« formierte sich der Protest gegen die IBA, deren Präsentationsjahr vor anderthalb Wochen im Hamburger Elbinsel-Stadtteil Wilhelmsburg eröffnet wurde. »Rasante Mietsteigerungen, sich verschärfender Wohnraummangel und teils miserable bauliche Zustände ihrer Wohnhäuser stehen der Imagepolitik und den Leuchtturmprojekten der IBA gegenüber«, erklärte Theo Bruns für die 600 Kritiker, die lautstark ihre Einwände gegen die bis Oktober laufende Ausstellung vorbrachten. »IBA versenken, Wohnraum verschenken«, skandierten die Demonstranten auf dem Ausstellungsgelände.

Widerstand gegen Standortwettbewerb

»Hamburg ist um eine Attraktion reicher«, stellte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) dort fest. Die IBA soll nicht nur »die Zukunft der Stadt im 21. Jahrhundert« aufzeigen, sondern auch eine »Aufwertung ohne Verdrängung« im jahrzehntelang vernachlässigten 50 000-Einwohner-Stadtteil bewirken. Dass dieses Kunststück angesichts des Gentrifizierungsdrucks in der Hansestadt gelingt (und tatsächlich beabsichtigt ist), wird von den Gegnern der IBA vehement bezweifelt. Die Gruppe »IBA Nigs da!« will »Alternativen zu neoliberaler Aufwertungshysterie aufzeigen und deutlich machen, dass sich nicht alle widerstandslos für Hamburgs Standortwettbewerb einspannen lassen«. Das »Nigs« im Namen verweist auf die Internationale Gartenschau igs, das zweite Großprojekt des Jahres, das am 26. April im Stadtteil eröffnet wird. Beide Ereignisse würden zur Privatisierung öffentlicher Räume beitragen und sollten Wilhelmsburg für eine gut situierte Mittelschicht attraktiv machen, argwöhnen die Kritiker.

Neben zahlreichen außerparlamentarischen Initiativen äußern auch Parlamentarier der LINKEN Vorbehalte gegen die architektonische Leistungsschau auf 35 Quadratkilometern. Die IBA habe »keine ernsthaften Ansätze für eine klimaverträglichen Zukunft der Metropole«, kritisiert Dora Heyenn, die Vorsitzende der LINKE-Bürgerschaftsfraktion. Klimaschonende Modelle wie das Algenhaus oder ein Energiebunker seien für Wilhelmsburg nicht mehr als »Kosmetik«. Stadtentwicklungssprecherin Heike Sudmann hält es zudem für »geradezu zynisch«, dass die Sozialberatung im Viertel abgebaut werde, »während rundherum teure Prestigebauten entstehen«. Auch die von der IBA angepriesenen »Smart Price Houses« seien angesichts Mieten von mehr als 15 Euro pro Quadratmeter kein sozial verträgliches Projekt: »Wie ein kleiner Geldbeutel 1059 Euro Miete für eine 70-Quadratmeter-Wohnung aufbringen soll, ist mir ein Rätsel.«

Hinter Sprachlyrik lauert die Autobahn

Beim städtebaulich angestrebten »Sprung über die Elbe«, der Erschließung südlich des Flusses gelegener Stadtteile, sind in Wilhelmsburg bisher 1200 der 5000 geplanten neuen Wohnungen entstanden. Die Mietpreissteigerung im Viertel liegt noch unter dem Hamburger Durchschnitt, dementsprechend werden hier allerdings umso höhere Steigerungspotenziale vermutet.

Der Architekturjournalist Dankwart Guratzsch kritisierte jüngst in der »Welt«, »dass die Stadtsoziologen über die Köpfe der Normalbürger hinweggeredet haben und trotz aller Partizipationslyrik ein Vokabular benutzen, das mit Wortbildungen wie ›growing city‹, ›open city‹, ›civic city‘‹ und ›smart city‹ dem Ziel der Vermittlung an die Stadtgesellschaft hohnspricht«. Bei den wöchentlichen Treffen der IBA-Kritiker steht Sprachkritik nicht im Mittelpunkt. Am Freitag informiert die Bürgerinitiative »Engagierte Wilhelmsburger« im Infoladen Wilhelmsburg über ihren Kampf gegen die geplante Autobahn durch den Stadtteil.

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