Griff in die Grabbelkiste

Heute beginnt in Stuttgart der Betrugsprozess gegen Radprofi Stefan Schumacher

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 3 Min.
Straßenradprofi Stefan Schumacher aus Nürtingen steht von heute an als Angeklagter vor Gericht: Sein ehemaliger Arbeitgeber Hans-Michael Holczer sieht sich vom doping-ertappten Fahrer betrogen und fordert 150 000 Euro zurück.

Selbst Deutschlands bekanntester Dopingjäger Werner Franke wird beim Verhandlungsauftakt im Fall Stefan Schumacher heute vor Ort sein. Schließlich will der Heidelberger Molekularbiologe vom Landgericht Stuttgart wissen, was aus seiner per Eilpost abgesendeten Strafanzeige gegen zwei Ärzte des gedopten Radprofis im ehemaligen Team Gerolsteiner wird. »Die Rechtsprechung im Bereich Körperverletzung ist in Deutschland erkennbar korrupt«, sagt Franke. »Ehemalige DDR-Ärzte werden verurteilt, Wessis nicht.«

Für den Heidelberger Molekularbiologen ist der ganze Prozess gegen Schumacher eine Farce. Vor Gericht soll geklärt werden, ob der einstige Topfahrer mit seinem spät eingestandenen Doping betrogen hat und deshalb 150 000 Euro Gehalt an seinen ehemaligen Teamchef Hans-Michael Holczer zurückzahlen muss.

Nach langem Verneinen und verbüßter Dopingstrafe von 2008 bis 2010 hatte Schumacher erst vor ein paar Tagen im »Spiegel« selbst zugegeben, dass er gedopt habe und beschuldigte seinen ehemaligen Teamchef Holczer habe stets vom Doping gewusst, die Teamärzte hätten aktiv bei der Umsetzung mitgemischt. »Die meisten Sachen konnte sich jeder aus der Medikamentenbox nehmen. Das war völlig verrückt«, so der 31-Jährige.

Holczer leugnet die Vorwürfe zwar, aber Franke ist überzeugt, dass sie stimmen: »Es kann doch nicht wahr sein, dass Schumacher bestraft wird und die Leute, die die Grabbelkiste mit Medikamenten dahingestellt haben, noch Geld bekommen.« Für ihn sind die Ärzte und Holczer die Haupttäter.

Zu hinterfragen seien zudem auch die Beziehungen des Teams Gerolsteiner nach Russland. Speziell für große Rundfahrten wie die Tour de France seien russisch sprechende Experten eingeflogen worden, sagt Franke. Beim ehemaligen Gerolsteiner-Profi Danilo Hondo wurden 2005 geringe Mengen eines Wirkstoffs aus einem Aufputschmittel gefunden, das aus der russischen Raumfahrt stammen soll.

Dass Holczer nach seinem Rücktritt bei Gerolsteiner schließlich Teamchef des russischen Katjuscha-Rennstalls wurde und inzwischen Berater beim russischen Radsportverband ist, wirft Fragen auf. Vielleicht kann Holczer ja am 18. April Licht in die Zusammenhänge bringen. An diesem Tag ist er beim Schumacher-Prozess als Zeuge geladen.

Der Prozess wird nicht nur von der nationalen Antidoping-Agentur NADA als Präzedenzfall gefeiert, weil erstmals in Deutschland ein überführter Doper vor Gericht stehe. Werner Franke kann diese Denkweise nicht nachvollziehen. Es gebe erstmals eine öffentliche Verhandlung, aber es habe zuvor den viel prominenteren Fall Jan Ullrich gegeben. Das Ermittlungsverfahren wurde damals mit Zahlung einer Geldbuße beendet.

Das gleiche Ergebnis erwartet Franke auch im anstehenden Prozess: »Wenn sie damals Jan Ullrich nicht bestraft haben, können sie den Schumacher doch jetzt erst recht nicht bestrafen.« Doping von Sportlern ist in Deutschland zudem im Gegensatz zu Frankreich kein direkter Straftatbestand.

Finanziell bestraft ist Stefan Schumacher ohnehin - derzeit fährt er für den dänischen Drittligisten »Christina Watches« unter Führung des Ex-Profis Michael Rasmussen, der unlängst selbst Doping gestanden hatte.

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