Versagen wie beim NSU

Amadeu-Antonio-Stiftung beklagt Vorgehen der Behörden im Kampf gegen Rechts

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Zwei Jahre nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie schauen die Behörden bei der Aufdeckung rechtsextremer Straftaten noch immer häufig weg. Zu diesem Ergebnis kommt ein Report über Neonazis in Westdeutschland.

Wuppertal, Betzdorf, Tostedt. Dies ist nur eine kleine Auswahl von Städten, in denen Polizei, Justiz und Verwaltung auch zwei Jahre nach Aufdeckung der NSU-Mordserie beim Kampf gegen Neonazi-Strukturen noch immer systematisch versagen. Zehn Ortschaften, allesamt in Westdeutschland, sah sich die Politikwissenschaftlerin Marion Kraske im Auftrag der Amadeu-Antonio-Stiftung genauer an. Sie wollte herausfinden, ob die Behörden den blutigen Weckruf durch Zschäpe, Mundlos und Bönhardt zum Anlass nahmen, konsequenter als bisher gegen rechte Straftäter vorzugehen.

Das ernüchternde Rechercheergebnis lässt sich seit gestern in dem Report mit dem bezeichnenden Titel »Staatsversagen« nachlesen. »Wir erleben täglich Versäumnisse der Behörden wie schon im Fall des NSU«, sagt Kraske. Rechte Straftaten würden von Behörden und Politik systematisch »kleingeredet und verharmlost«, betont die Autorin. Oft werde das Thema Rechtsextremismus noch immer als ostdeutsches Problem wahrgenommen.

Längst gibt es aber auch in Westdeutschland verfestigte rechte Strukturen. »Bei den rechten Straftaten hat der Westen gegenüber dem Osten längst aufgeholt«, betont Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio-Stiftung. Deshalb beschäftigt sich der Report auch ausschließlich mit rechten Vorfällen in westdeutschen Bundesländern.

Ein Beispiel liefert Norbert Weinrowsky vom Medienprojekt Wuppertal. Die Initiative unterstützt Jugendliche bei der Produktion von Videofilmen, die sich mit deren Lebensalltag beschäftigen. Im November 2010 feierte »Das braune Chamäleon«, ein Film über die verschiedenen Formen von Rechtsextremismus, in einem Wuppertaler Kino Premiere. Auch 25 Neonazis erfuhren von der Vorführung, vermummten sich und attackierten die Vorführung. Zwar nahm die Polizei 13 Angreifer vorübergehend fest, doch das Behördenversagen fing dann erst an. »Ich war sicher, dass die Ermittlungen zu einer schnellen Verurteilung der Täter führen«, erinnert sich Weinrowsky. Mit dieser Einschätzung sollte er sich täuschen. Bis heute musste sich keiner der Neonazis vor Gericht verantworten. Zwischenzeitlich stellten die Ermittlungsbehörden das Verfahren ein, erst auf Druck des Medienprojekts und eines Fernsehbeitrags erhob die Staatsanwaltschaft vergangenen November Anklage. Um das Verfahren wieder anzustoßen, sollte Weinrowsky sogar selbst auf die Suche nach Zeugen des Angriffs gehen.

Besonders hart traf ihn allerdings der Vorwurf durch die Polizei, wonach es sich bei dem Übergriff nur um einen Zwischenfall zwischen Linken und Rechten handelte. Solch eine Reaktion von offizieller Seite gäbe es häufig, betont Kraske. Im Fall von Wuppertal wurde den Behörden das fatale Signal gesendet, die Opfer seien die eigentlichen Täter, da sie den Überfall der Neonazis mit der Filmaufführung provoziert hätten.

Ein anderes Beispiel liefert die niedersächsische Gemeinde Tostedt. Dort betrieb der wegen Totschlags verurteilte Neonazi Stefan Silar jahrelang »Norddeutschlands größten Szeneladen« und verkaufte bei Rechten beliebte Modemarken. Als linke Aktivisten 2010 vor dem Geschäft dagegen demonstrierten, griff Silar diese mit einem Messer an.

Während er vom Amtsgericht Tostedt noch zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt wurde, blieb von dem Urteil vor dem Oberlandesgericht in Celle im Jahr 2012 nur eine Geldstrafe übrig. Grund für die Verharmlosung ist laut Anetta Kahane, Vorsitzende der Stiftung, der allgegenwärtige Rassismus in Deutschland, der auch vor Polizei und Justiz nicht Halt mache. Menschenfeindliche Einstellungen, so Kahane, seien ein gesamtdeutsches Problem, was von vielen Initiativen erkannt werde, von der Politik und offiziellen Stellen gerade im Westen aber noch zu wenig Unterstützung erfährt.

www.amadeu-antonio-stiftung.de/staatsversagen

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal