Nein, das weiß ich nicht

Wie das Oberlandesgericht München zur Verschiebung des NSU-Prozesses schweigt

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach wochenlangem Streit um die Vergabe der Presseplätze beim Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte sowie nach dem Eilentscheid des Bundesverfassungsgerichts ist der Auftakt des Verfahrens geplatzt. Das Gericht muss nun entscheiden, wie es die Vorgabe aus Karlsruhe umsetzt, ausländischen - vor allem türkischen - Medien den Zugang zum Prozess zu sichern. Angehörige der migrantischen Opfer des NSU, acht Türken und ein Grieche, sind entsetzt angesichts der Verschiebung.

Es war eine geradezu gespenstische Pressekonferenz im Gerichtssaal 201 an der Nymphenburger Straße in München: »Nein«, sagt Margarete Nötzel, Pressesprecherin des Oberlandesgerichts in München, an dem der NSU-Prozess anhängig ist. »Nein«, sagt sie, sie wisse nicht, ob mit der Verschiebung des Prozesstermins nicht möglicherweise das ganze Verfahren gefährdet sei, sie beteilige sich nicht an Spekulationen.

Frau Nötzel muss noch viele Male »Nein« sagen bei dieser äußerst kurzfristig einberufenen Pressekonferenz. Nein, sie wisse auch nicht, wie ein neues Akkreditierungsverfahren aussehen werde. Nein, sie wisse auch nicht, ab wann das gelte. Eigentlich wisse sie nur, was ihr schriftlich zur Kenntnis gebracht wurde: Dass der NSU-Prozess nicht am kommenden Mittwoch wie geplant beginnen werde. Der Termin wurde auf den 6. Mai 2013 verschoben. Der Grund: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, auch ausländische und vor allem türkische Medienvertreter zu berücksichtigen.

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»Meine Mandantin ist völlig außer sich«: Der Anwalt von Gamze Kubasik über die Verschiebung

Angehörige der migrantischen NSU-Opfer sind entsetzt angesichts der Verschiebung des NSU-Prozesses. Der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Scharmer vertritt die Nebenklägerin Gamze Kubasik. Ihr Vater wurde am 4. April 2006 in seinem Geschäft in Dortmund ermordet. Mit dem Anwalt sprach Ines Wallrodt. Mehr

Chronologie des Streits um die Presseplätze

26. März: Acht der zehn Mordopfer der Neonazi-Terroristen stammten aus der Türkei - bei der Vergabe der garantierten Presseplätze beim NSU-Prozess gehen türkische Medien jedoch leer aus. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, spricht von einem unglaublichen Vorgang. Unter anderem SPD-Chef Sigmar Gabriel und der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir kritisieren das Verfahren - das OLG verteidigt sein Vorgehen.

27. März: Einige deutsche Medien, darunter auch das »nd«, bieten an, ihren Platz türkischen Kollegen zur Verfügung zu stellen oder mit ihnen zu teilen. Das ist laut Gericht nicht möglich.

28. März: Der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), verteidigt das Gericht: »Eine Videoübertragung in einen anderen Saal hätte ein bisschen was von Schauprozess und Public Viewing und wäre ein Verstoß gegen die Menschenwürde der Angeklagten. (...) Die Entscheidungen des Gerichts bewegen sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen und Möglichen.« Trotz anhaltender Kritik werde das Gericht nichts am Zulassungsverfahren für Journalisten ändern, sagt OLG-Präsident Karl Huber.

2. April: Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu setzt sich in einem Telefonat mit seinem Kollegen Guido Westerwelle (FDP) dafür ein, dass türkische Staats- und Medienvertreter als Beobachter teilnehmen können. Westerwelle äußert Verständnis, verweist aber auf die Unabhängigkeit der Justiz.

4. April: Der türkische Botschafter in Deutschland, Avni Karslioglu, will zum NSU-Prozess kommen - auch wenn das Gericht bislang keinen Platz für ihn reserviert.

6. April: Die türkische Zeitung »Sabah« legt Verfassungsbeschwerde gegen die Vergabe von Journalistenplätzen ein. Das Blatt will mit einem Eilantrag die Zulassung zum NSU-Prozess erreichen.

8. April: Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Christoph Frank, beklagt, populistische Kritik aus Politik und Medien gegen ein unabhängiges deutsches Gericht hätten eine Qualität erreicht, die »nicht mehr hinnehmbar« sei.

9. April: In Karlsruhe geht eine weitere Beschwerde ein. Ein freier Journalist bemängelt, dass auch bei Erkrankung eines akkreditierten Berichterstatters keine Vertretung möglich ist. Überdies seien einzelne Medien vorab über die Bedingungen der Akkreditierung informiert worden; deshalb sei das Verfahren fehlerhaft.

12. April: Erfolg für »Sabah«: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, das OLG München müsse eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter ausländischer Medien vergeben. Wie das im Einzelnen geschehen soll, lassen die Verfassungsrichter offen. Möglich wäre ein »Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen« oder eine Vergabe nach anderen Regeln.

15. April: Laut Gericht ist ein neues Akkreditierungsverfahren für Journalisten notwendig: »Dies ist bis zum geplanten Hauptverhandlungsbeginn am 17. April 2013 zeitlich und organisatorisch nicht mehr möglich.« Neuer Prozessbeginn: 6. Mai. dpa/nd

 

 

»Zur Begründung hat der Senat mitgeteilt, dass im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.04.2013 die Durchführung eines neuen Akkreditierungsverfahrens notwendig wird und dies bis zum geplanten Hauptverhandlungsbeginn am 17.04.2013 zeitlich und organisatorisch nicht mehr möglich ist«, heißt es in der Presseerklärung des Gerichts.

Draußen vor dem Gerichtsgebäude bauen die Arbeiter noch immer das Zelt auf, das die wartenden Prozessbesucher vor Regen schützen sollte. Ob es bis zum neuen Termin stehen bleiben wird, ist ebenso unklar wie die Antwort auf die Frage, ob den Angehörigen die Fahrtkosten ersetzt werden, wenn sie schon Tickets gekauft haben. Die Pressesprecherin müht sich tapfer und mit heiserer Stimme, die Fragen der Journalisten zu beantworten. Der Vorsitzende Richter bleibt wie gehabt eine graue, unsichtbare Eminenz im Hintergrund, fern den Niederungen demokratischer Öffentlichkeit.

Die politischen Reaktionen auf die angekündigte Verschiebung des jetzt noch spektakuläreren Mordprozesses sind indes geteilt. Die Entscheidung des Gerichts zeuge von einer »ungeheueren Unsensibilität den Angehörigen der Opfer gegenüber«, kommentiert etwa Bernd Kaminski, Sprecher des Bündnisses gegen Naziterror und Rassismus, das vergangenen Samstag zur Großdemonstration in München aufgerufen hatte. Die plötzliche Verschiebung stelle eine starke Belastung dar, die das Gericht auf jeden Fall hätte vermeiden müssen.

Die Innenpolitikerin der Linksfraktion im Bundestag, Ulla Jelpke, sieht die Gefahr, dass »Kleinlichkeit und Peinlichkeit« das NSU-Verfahren schon im Vorfeld diskreditieren. Die den Rechtsextremismus bekämpfende Amadeu Antonio Stiftung warnt: »Die von den Angehörigen der Opfer lange herbeigesehnte lückenlose Aufklärung der schrecklichen Mordserie rückt damit immer weiter in die Ferne.« Es sei zu befürchten, dass wegen der ständigen Auseinandersetzung um die Prozessabläufe die Aufklärung auch der Verfehlungen innerhalb der Institutionen in den Hintergrund trete.

Demgegenüber begrüßte der Deutsche Journalisten-Verband die Entscheidung des Gerichts. »Das ist die richtige Konsequenz aus der viel diskutierten Pannenserie der letzten Wochen«, erklärte der DJV-Vorsitzende Michael Konken. SPD und Grüne zeigten sich ebenfalls zufrieden. »Wichtig ist, dass jetzt auch den ausländischen Medien ausreichend Plätze zur Verfügung gestellt werden«, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles in Berlin. Die türkischen und griechischen Medien hätten ein berechtigtes Interesse, an dem Prozess teilzunehmen. »Es ist ein gutes Signal, dass das Gericht jetzt darauf Rücksicht nimmt.«

Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer und deren Angehörige, Barbara John, verlangte vom Oberlandesgericht, die Hinterbliebenen zu entschädigen. Diese hätten für den Prozess in München Reisen und Hotelzimmer gebucht. »Auf diesen Kosten dürfen sie nicht sitzenbleiben.«

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