So war das Stück nicht

Lupita Pulpos Tanzcollage »NEW« in den Uferstudios taumelt durch Erinnerungen an fremde Choreografien

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Nichts passiert, außer dass drei Stimmen vom Band über Theater, Räume und Stücke plaudern. Und Szenen zu beschreiben suchen, an die sie sich aus ganzen Aufführungen noch erinnern. Nun ist das mit der Erinnerung eine Sache: In jedem bricht sie sich anders. Wenn etwa Kinder einander Filmausschnitte beschreiben wollen, ist Streit nicht fern.

Ehe das auch bei dem Stimmtrio eintritt, rutscht man unruhig im Dunkel auf den Zementbänken des Studios 1, einer gefliesten ehemaligen Waschanlage für Busse, in den Uferstudios umher. Da endlich, man hat sich schon auf Tanz als Kopfgeburt eingerichtet, betreten die Performer Ayara Hernández Holz, Felix Marchand und Irina Müller der Gruppe Lupita Pulpo leiblich die Szene. Und können sich bereits über den Auftritt nicht einigen: einzeln, durch den Notausgang? Dann überstürzen sich die Vorschläge, woran man sich doch erinnern solle. Jeder bringt ein, was von Aufführungen aus letzter Zeit im Gedächtnis geblieben ist und was man nun nachspielen könne. Zuerst aber braucht es Requisiten, Stühle, Mülleimer, Besen, Mikroständer, Kostüme, die eifrig herbeigeschafft, wieder beseitigt werden: So war das Stück nicht.

Man könnte auch von draußen beginnen, begeistert sich Marchand und rennt aus dem Saal ins Freie. Das bringe Energie. Aber so war es auch nicht, monieren seine Kolleginnen und schlagen vor, Nelken auszulegen und darauf nackt Akkordeon zu spielen. Dieser Verweis trifft, zitiert er doch eine Szene aus Pina Bauschs »Nelken«, die im kollektiven Gedächtnis fleißiger Theatergänger fest verankert ist. Und so wird es den ganzen gut einstündigen Abend über gehen.

Die drei von Lupita Pulpo, mittlerweile seit einem Jahrzehnt in Berlin ansässig, beschwören herauf, was sie an Produktionen von Kollegen beeindruckte, was ihnen davon im Sinn blieb. Manche Szene spielen sie nach, freilich mit ihren Körpern und deren anderen Möglichkeiten, suchen zwar nicht die Kopie des Originals, finden aber indes auch keine überzeugend neue Lesart der erinnerten Sequenzen. So taumeln sie durch die jüngere Tanz- und Theatergeschichte, reihen unscharf erinnerte Schnipsel zum Kaleidoskop, das eher ratlos als den Erinnerungsprozess schmackhaft macht. Denn erinnern kann sich nur, wer jene Stücke ebenfalls kennt, ob die witzigen Glasbalancen von Clément Layes, die frappierend echten Puppen in Gisèle Viennes »Kindertotenlieder«, die autobiografische Erzählung der Véronique Doisneau in Jérôme Bels gleichnamigem Solo, weiter Stücke von Trisha Brown, Lucinda Child, Meg Stuart und vielen anderen.

Gigantisch dürfte die Vorarbeit zu »NEW« gewesen sein, all die Erinnerungsfetzen ausfindig zu machen, zusammenzutragen und in einem Projekt zu verklammern. Etwas Neues ist dabei aber eben nicht entstanden, kein Kommentar zu den Vorgängerproduktionen, keine Auseinandersetzung, die dieses Konzept sinnfällig gemacht hätte. So versucht jeder, seinen Spielvorschlag zu verteidigen und die anderen dafür zu entflammen, etwa eine Sprache ohne Bedeutung zu kreieren, einen spanischen Tanz nach Musik von Bob Dylan respektive einen Tanz ohne Inhalt und Virtuosität oder aus lauter »gleichgewichtigen« Bewegungen zu entwerfen. Oder alle Energie in einer Geste zu konzentrieren: der Krallenhand. Das ist witzig, steht aber inmitten öder Langeweile einsam auf weiter Flur. Dennoch wird in all der Redeflut gelegentlich auch getanzt, Hula-Hoop, ein paar russische Tiefschritte, die Pose aus »Schwanensee«, ein bisschen Forsythe.

Am Ende formiert sich das Trio unter schwarzem Stoff zum amorph wandelnden Gespenst, auf dessen Rücken, dann auf die Wand unvorbereitet projiziert wird, was Kollegen über die Zukunft zum Besten gegeben haben. Die Zukunft ist gelb, liest man da, ist eine Idee, ein Fehler, ein Kuss, hat keine Zukunft, kommt gleich. Die Zukunft aber von Lupita Pulpo sollte in klarer strukturierten, beherrschbaren Arbeiten liegen.

Bis 28.4., Uferstudios, Uferstr. 8/23 & Badstr. 40a, Wedding, Kartentelefon: 01805/70 07 33, www.uferstudios.com

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