Nicht nur ein Stück vom Kuchen

Die Ganze Bäckerei in Leipzig verweigert sich Effizienzerwägungen und gewinnt dadurch Spaß und Freiheit

  • Johanna Treblin
  • Lesedauer: 6 Min.
Jeden Sonnabend backen junge Menschen in Leipzig Sauerteigbrot und Hefebrötchen und verteilen sie kostenlos an linke Projekte. Ökonomisch rechnet sich das nicht. Aber so darf man an die Sache ohnehin nicht herangehen, sagt Theo.

Theo lässt Getreide in die Kornmühle Hawo's Queen 2 rieseln. Sie rattert laut. Das Mehl wird von einer weißen Emailleschüssel mit abgeschlagenem blauen Rand aufgefangen. Theo dreht die Schüssel und rüttelt an ihr, um Platz zu schaffen. Mehlstaub steigt auf. Zusammen mit den klebrig-öligen Leinsamen schüttet Sophie das Mehl in eine riesige Schüssel. Ein elektrischer Rührarm knetet den Teig zu einer festen Masse. Holzscheite heizen den großen Steinofen auf, und Sophies Wangen leuchten rot vor Hitze.

Sophie und Theo backen Sauerteigbrot und Hefebrötchen, die sie kostenlos an Wohnprojekte verteilen. Ganze Bäckerei ist der Name ihres Hausprojekts in Leipzig-Lindenau, in dem seit November 2010 15 Kinder und Erwachsene wohnen. Den Namen haben sie dem alten Sponti-Spruch aus den 70er Jahren entnommen: »Wir wollen nicht ein Stück vom Kuchen, wir wollen die ganze Bäckerei.« »Und wenn wir schon Bäckerei heißen, dann sollten wir auch eine sein, dachten wir«, erzählt Theo und grinst. Irgendjemand aus dem Haus kannte jemanden, der seinen Backofen loswerden wollte. Der wurde in Lindenau aufgebaut.

»Rebäcka« heißt die Backgruppe, die seitdem fast jeden Sonnabend Brote durch die Luke im Steinofen schiebt. Eine feste Anzahl an Bäckerinnen und Bäckern gibt es nicht. Sophie ist meistens dabei, zwei pausieren gerade, zwei Neue backen immer häufiger mit. Die Küche gehört zu den öffentlichen Räumen, die die Hausbewohner im Erdgeschoss eingerichtet haben. Auch andere Projekte in dem Haus tragen Frauennamen: In der Volksküche (Vokü) »Efa« gibt es jeden Montag preisgünstiges »Essen für alle« und jeden Sonntag bietet »Brenda« einen Brunch zum kleinen Preis. Außerdem organisiert die Gruppe »Josephine« mittwochs einen Kneipenabend für Frauen und Menschen, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen. Einen »Raum für die Bewegung« zu schaffen, sagt Theo, war von Anfang an eines der Ziele des Hausprojekts. Die Nutzung der Räume ist kostenlos, Voraussetzung ist, dass auch die Veranstaltungen kostenlos sind. Hier treffen sich Gruppen der Anti-Atom-Bewegung, Menschen, die gemeinsam Biolebensmittel bestellen, auch Vorträge zu Demokratiekritik und Gentechnik gab es hier bereits.

Die Bäckerinnen und Bäcker stehen sonnabends acht Stunden lang in der Küche. Geld bekommen sie dafür nicht. Spaß ist Teil ihrer Motivation: Gemeinsam mit anderen Menschen etwas schaffen, mit den eigenen Händen etwas herstellen, was noch dazu gut schmeckt - und sehen, wie sich andere darüber freuen, wenn sie in die noch dampfenden Brötchen beißen. »Das Brot schmeckt mir so hundertmal besser als das aus dem Supermarkt«, sagt Sophie. »Das mag irrational sein, aber meiner Meinung nach ist es auch irrational, jeden Tag acht Stunden in irgendeinem Büro zu arbeiten.« Sophie geht es auch darum, zu wissen, was drin steckt in dem, was sie isst, und wie ihre Nahrungsmittel hergestellt werden. Sie will Nahrungsmittelstrukturen aufbauen, die jenseits von Supermärkten funktionieren.

Die Ganze Bäckerei bekommt ihr Getreide kostenlos vom Karlshof, der nahe Templin, 60 Kilometer nördlich von Berlin liegt. Er ist ein Biobauernhof der besonderen Art: Er betreibt Landwirtschaft nicht-kommerziell. Im Grunde heißt das: Die Kartoffeln und das Getreide, das auf dem Hof von freiwilligen Helfern geerntet wird, wird verschenkt. Wer teilnehmen möchte, meldet vor der Aussaat seinen Bedarf an und bekommt nach der Ernte ein paar Kilo oder Zentner Kartoffeln.

Einige Maschinen waren bereits auf dem Hof, als die Stiftung »Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit« (PAG) gegründet wurde. Durch Spenden können weitere Geräte, Benzin und Saatgut angeschafft werden. Bauern aus der Umgebung helfen mit ihren Maschinen gegen Hilfe auf den eigenen Höfen aus. 2006 wurden fünf Tonnen Kartoffeln geerntet, 2007 waren es fast doppelt so viele. Die Erträge schwanken von Jahr zu Jahr. Sechs Jahre lang hat diese alternative Landwirtschaft funktioniert. Anfang 2012 löste sich die Erntegruppe aber auf - die Mitglieder hatten unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenleben und Wirtschaften. Übergangsweise haben Menschen aus dem Netzwerk der Projektwerkstatt Ernte und Aussaat für 2012 und 2013 übernommen. Jetzt sucht die PAG nach einer neuen Gruppe, die dauerhaft den Hof nach Prinzipien der solidarischen Landwirtschaft betreiben wollen.

Die Backgruppe in Leipzig hat regelmäßig Flyer verteilt, die um Spenden für den Karlshof bitten. Das ist so lange im Sinne der nicht-kommerziellen Landwirtschaft, wie der Geldfluss abgekoppelt ist vom Warenfluss - oder anders ausgedrückt: Noch ist der Karlshof auf Spenden angewiesen, das Geld soll aber nicht unbedingt von denen kommen, die Waren erhalten.

Sophie wirft Mehl in den Backofen. Wäre es in Flammen aufgegangen, ist es noch zu heiß für Brötchen. Dann folgt der »Opferbrötchen«-Test. Es wird nicht schwarz, sondern nach sieben Minuten goldbraun - der Ofen ist bereit für die erste Fuhre. Während die Brötchen backen, wird der Brotteig auf sechs mal zwölf Kastenformen verteilt und muss bei 28 Grad gehen. Fünf der 48 Brotlaibe bekommen die Hausbewohner. Der Rest wird auf drei Wagenplätze verteilt, ein paar gehen auch an eine Landkommune in der Nähe von Leipzig. Kostenlos. Damit wollen die Bäcker alternative Wohnprojekte und linke Gruppen unterstützen, die dadurch weniger Geld für Lebensmittel ausgeben müssen und weniger auf den Einkauf im Supermarkt angewiesen sind. Das spart Zeit und Ressourcen für wichtigere Dinge. Theo meint: »Wenn man weniger Geld ausgeben muss, dann braucht man auch weniger und muss weniger arbeiten.« Er studiert noch, Sophie ist Schauspielerin, Musikerin und Clown.

»Unter ökonomischen Gesichtspunkten ist das Backen sinnlos«, sagt Theo. »48 Brote mit drei Leuten in acht Stunden - das ist absolut nicht effizient. Aber wenn man so an die Sache rangeht, dann macht es auch keinen Spaß mehr.« Und mit 48 Broten könne man immerhin vier bis fünf Projekte pro Woche versorgen, meint Sophie. Für optimal gelöst hält sie die Verteilung trotzdem nicht. Sie wünscht sich, dass mehr Leute mitbacken, so dass nicht jede Woche die selben Menschen in der Küche stehen. Auch die Finanzierung könnte besser laufen. Zwar bekommt die Bäckerei das Getreide kostenlos und das Holz von Freunden. Aber Weizenmehl für die Brötchen, Salz und Margarine kauft Sophie im Supermarkt. Ab und zu gehen die Gewinne der Vokü an die Bäckerei. Damit können Mehl und Margarine eine Weile finanziert werden.

Zusammen mit Theo holt Sophie die ersten Brötchen aus dem Ofen. Theo bricht eines auf und hängt seine Nase hinein. Dampfend steigt Hefeduft auf. Er schmiert Margarine darauf, bestreut das Brötchen mit Salz und beißt ab.

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