Deutsche auf der Götterinsel

  • Michael Lenz
  • Lesedauer: 7 Min.
Der Herr Detlef Kleiss ist ein Mann, wie ihn sich deutsche Arbeitgeber wünschen. Gut ausgebildet, flexibel und bereit, auch jenseits der überschaubaren Grenzen seiner Region nach Arbeit zu suchen. Nicht etwa, dass der Herr Kleiss arbeitslos gewesen wäre. Der gelernte Küchenchef hatte nach ein paar Problemen mit seinem vorletzten Arbeitgeber, einem Restaurant in Bonn, schon eine neue Stelle in der Großküche eines Krankenhauses in Köln gefunden. Doch als wäre eine Krankenhausküche nicht schon genug Herausforderung an die Managerfähigkeiten eines Küchenchefs gewesen, suchte Kleiss nach dem ultimativen beruflichen Abenteuer. Und fand es - auf Bali. Das deutsche Restaurant »Mamas« - seit Jahren eine Institution in Balis touristischem Zentrum Kuta - suchte einen »Operational Manager«, Kleiss bewarb sich, bekam den Job zog nach Bali. »Die Verhandlungen per E-Mail, packen, Abschiednehmen von meiner Freundin und meinen Kindern, das passierte alles innerhalb von zwei Monaten«, erzählt Kleiss. Die ersten Wochen auf Bali waren für den 39-Jährigen mehr als eine Feuerprobe. Denn Kleiss war noch nie zuvor in Asien. Nie zuvor hatte er im Ausland gearbeitet. Nie zuvor musste er Dienstbesprechungen mit seinem Personal und Verhandlungen mit Lieferanten auf Englisch führen. Der Härtetest sowohl für die Bereitschaft von Kleiss, sich langfristig dem Abenteuer Bali zu stellen, kam am 1. Oktober, drei Wochen nach seiner Ankunft: In zwei Restaurants in Kuta und Jimbaran zündeten drei Selbstmordattentäter Bomben und rissen zwanzig Menschen in den Tod. Das Attentat war das zweite innerhalb von drei Jahren auf Bali. Bei dem Bombenschlag vom 12. Oktober 2002 auf das Restaurant Sari, das nur etwa 200 Meter von »Mamas« entfernt lag, starben 202 Menschen, darunter sechs Deutsche. «Die Bombenanschläge waren schon eine schlimme Erfahrung«, sagt Kleiss. Er habe gleich danach viele E-Mails von Freundin, Familie und Freunden in Deutschland bekommen. »Es war schwierig, denen zu vermitteln, dass Kuta eine große Stadt und Bali eine große Insel ist, und die Bomben nicht die ganze Insel in Trümmer gelegt hatten.« Es sei auch nicht einfach gewesen, zu erklären, warum er nach den Bomben Bali nicht fluchtartig verlassen habe. »Ich habe trotzdem ein gutes Gefühl«, sagt er. »Dass ich geblieben bin, war also keine heldenhafte Entscheidung. Die Insel ist wunderschön, das Wetter toll, die Menschen sind sehr gastfreundlich, die vielen religiösen Zeremonien faszinierend. So habe ich mir Asien immer vorgestellt.« Natürlich hatten Kleiss und der »Mamas«-Inhaber Reinhold Jantzen (der zugleich Metzgermeister und deutscher Konsul auf Bali ist) wie alle anderen vom Tourismus abhängigen Unternehmen der exotischen Trauminsel große Angst vor einem neuerlichen Einbruch des Tourismus. Nach den Bomben von 2002 hatten die Urlauber in einer Massenflucht die Insel verlassen und eine Welle von Stornierungen brach über die Insel herein, die direkt und indirekt zu 70 Prozent vom Tourismus lebt. In den ersten Tagen nach den neuen Bombenanschlägen waren die Straßen von Kuta abends wie leergefegt. Abgereist war jedoch kaum jemand. Viele Urlauber hatten in den ersten Tagen einfach Angst auszugehen. »Wir sind lieber im Hotel geblieben und haben abgewartet, wie die Lage sich entwickelt«, sagt die Thüringerin Karina Schreiber. Warum sie nicht abgereist ist, kann die Gewinnerin der 3. Big-Brother-Staffel (2001) nicht in Worte fassen. Ihr Lebenspartner Peter Brandts sagt: »Vielleicht hatten wir einfach nicht genug Angst.« Bali hat eine magische Anziehungskraft auf Auswanderer aus aller Welt. Wahlbalinesen sind keine latzhosentragenden Aussteiger, die es sich den lieben langen Tag mit Wein, Weib, Gesang und Surfbrett am Strand gut gehen lassen. Zwar hängen die meisten »Expats« eher früher als später ihren gelernten Beruf an den Nagel, aber nur, um sich mit dem, was die Kultur, die Traditionen, die Natur der indonesischen Insel bieten, ein neues Leben und eine neue Existenz aufzubauen. In seinem früheren Leben war Werner Schäffer Dozent an der Musikhochschule Trossingen, dirigierte ganze Orchester und trat als Mitglied des international renommierten »Trossinger-Akkordeon-Ensembles« mit klassischer und avantgardistischer Akkordeonmusik in ganz Europa auf. Dann kamen die ersten Reisen nach Indonesien, das Stipendium zum Studium der Gamelan-Musik in Bandung und vor allem seine Begeisterung für das Tauchen. Seit sechs Jahren lebt Schäffer nun schon als freischaffender Tauchlehrer in Indonesien, zwei davon auf Bali. Eberhard Fischinger hat vor drei Jahren Berlin den Rücken gekehrt. Eigentlich wollte der Architekt nur dem grauen und kalten Berliner Winter entfliehen. Aber die Magie der Götterinsel verfehlte ihre Wirkung auch auf den gebürtigen Schwarzwälder nicht. »Hier ist alles so entspannt«, sagt Fischinger. Auf Bali sei ihm klar geworden, dass er schon lange auf der Suche nach einem ruhigeren Lebensstil war. »Ich habe zu viele Parties in Berlin gefeiert, und schon während meines wilden Nachtlebens habe ich oft gedacht: Es muss auch was anderes geben.« Auf Bali entwirft und produziert der 39-Jährige jetzt Modeschmuck und Accessoires wie Handtaschen und Gürtel für illustre Kunden, darunter »Marc Cain Collections« oder »Cinque«, die Fischingers Produkte unter ihrem Label verkaufen. »Ich bin ein so genannter Satellitendesigner«, grinst er. Über zehn Mitarbeiter knüpfen in Fischingers Haus in Seminyak jeden Tag bunte Glasperlen, farbige Steine und Goldplättchen zu Ketten und Armbändern zusammen, besticken Handtaschen mit Muscheln, Federn und anderem am Strand gefundenem Gut. Das Schmuckgeschäft hatte Fischinger mit einem Indonesier begonnen, der sein Geschäfts- und Lebenspartner war. »Das ging in die Hose. Der machte hinter meinem Rücken Geschäfte. So kam es zur geschäftlichen und privaten Trennung, und ich war pleite.« Mit finanzieller Hilfe seiner Mutter gelang es ihm dann, sein eigenes Geschäft zu gründen und wieder auf die Beine zu kommen. Ausgerechnet ein anderer homosexueller Deutscher hat Bali auf die touristische Landkarte gebracht und das Städtchen Ubud im Landesinneren zum Worpswede Balis gemacht. Nachdem seine Beziehung mit dem Stummfilmregiestar Fritz Murnau ( »Nosferatu«) zu Ende gegangenen war, reiste der Maler Walter Spiess 1927 von Berlin nach Bali, wo er zum wichtigsten Tropenmaler nach Paul Gaugin wurde. Am Fürstenhof von Ubud wurde der Künstler gastfreundschaftlich aufgenommen. Ubud zieht seitdem magisch Maler, Bildhauer, Schriftsteller und andere Kreative an, und zu den Zeiten von Spiess wurde die internationale Künstlerkolonie auch zu einem Mekka der Schönen und Reichen. Charlie Chaplin war zu Besuch, Woolworth-Erbin Barbara Hutton und auch die Schriftstellerin Vicki Baum. Das balinesische Boheme-Leben fand ein jähes Ende, als Spiess auf Betreiben der Nazis in Deutschland von der holländische Kolonialverwaltung Balis wegen seiner Homosexualität verhaftet wurde. 1942 starb Spiess, als das holländische Schiff, das Häftlinge von Bali nach Ceylon bringen sollte, von einem japanischen U-Boot versenkt wurde. Das Erbe von Spiess lebt fort. Ubud ist noch immer eine Künstlerkolonie. Und da ist noch der »Ketcha Tanz«. Was viele Touristen als »urbalinesische Tradition« erleben, ist in Wirklichkeit von Spiess 1933 für den Stummfilm »Insel der Dämonen« von Regisseur Friedrich Dahlsheim und Produzent Victor von Plessen erfunden worden. Die Balinesen selbst sind von diesem Tanz so begeistert, dass sie ihn in ihr Kulturgut übernahmen. Die treuesten Gefährten im Leben von Sabine Thiel sind - in der Reihenfolge - Ehemann Dominique und ihr Toyota Landcruiser. Und das kam so. Beim Studium der Ethnologie in Göttingen lernte Thiel, die leicht als Double für Cher Karriere machen könnte, den Schweizer Dominique Sallmann kennen. Zusammen gingen sie nach dem Studium als Entwicklungshelfer nach Indonesien. Sie arbeiteten lange Jahre im Dienste der Vereinten Nationen auf Java und Sulawesi. Das begann 1987, und damals kaufte sich Thiel den Toyota Jeep. »Der fährt heute noch«, strahlt die 48-Jährige. Indonesien hat das Leben von Thiel und Sallmann völlig umgekrempelt. Zum Beispiel haben sie geheiratet, obwohl sie das gar nicht vorhatten. »Mit Trauschein war es einfacher, Aufenthaltsgenehmigungen und Jobs in den gleichen UN-Projekten zu bekommen.« Dann, 1993, lief der Arbeitsvertrag aus. Sachen wurden in einen Container gepackt und nach Deutschland an die Adresse von Freunden geschickt. »Da steht der heute noch«, grinst Thiel. »Uns war klar geworden, dass wir nicht aus Indonesien wegwollten.« Mit Bali musste sich Thiel erst anfreunden. »Nach all den Jahren auf Sulawesi unter verrückten Expats und manchmal ziemlich gefährlichen Einheimischen war mir Bali zunächst zu verwestlicht und zu glatt.« Aber das hat sich gegeben. Thiel fühlt sich pudelwohl in ihrem Haus in Oberoi, das nach deutschen Standards als Luxusvilla zu gelten hat, nach balinesischen Expat-Maßstäben aber eher »normal« ist. Obwohl, so richtige Luxusvillen nennen Thiel und Sallmann auch ihr eigen. Aber die vermieten sie für sehr viel Geld an zahlungskräftige Touristen. Der Entwicklungshilfe haben die beiden Lebenskünstler ade gesagt. Um einen Innenhof ihres Wohnhauses mit einem Lotusteich, einem Swimmingpool, Palmen und sonstiger üppiger tropischer Natur gruppieren sich die Wohnräume. Lediglich Schlafzimmer und Arbeitszimmer mit Büchern und Computern haben vier Wände. Küche, Esszimmer und Wohnzimmer sind zum Hof hin offen. Im Hof stehen überall kleine Gongs, große Gongs und ganz große Gongs. »Ich sammle Gongs«, strahlt Thiel. Dann fragt sie: »Ich plane, einen Laden mit Kunsthandwerk und natürlich Gongs aufzumachen. Was meinen Sie, ob sich das jetzt nach der Bombe lohnt?« Und gibt selbst die Antwort: »Wahrscheinlich schon, es ist ja alles nicht so schlimm wie das letzte Mal.«  
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