Schicksalhaft verstrickt

Das Schweigen der Generation »Derrick«

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 2 Min.

Die beliebte Mär, wonach eine Hand voll finsterer Gesellen, später besser bekannt als sogenannte Nazis, sich im Jahre 1933 bzw. 1939 - da gehen die Meinungen auseinander - der orientierungslosen Deutschen bemächtigt, allerhand Schindluder mit ihnen getrieben und sie nach der heute bevorzugt als »dunkle Jahre« bezeichneten Zeit wieder aus ihrer Gewalt entlassen hätten, findet bis heute ihren Niederschlag in den Medien: Im Fall des Schauspielers Horst Tappert (»Derrick«), der 2008 85-jährig starb und von dem nun bekannt wurde, dass er als Soldat einer SS-Division angehörte, die Kriegsverbrechen beging, tut man nun so, als ob SS-Soldaten Leute gewesen seien, die von einem anderen Planeten gekommen und nach 1945 auch wieder dorthin verschwunden seien, und nicht etwa normale deutsche Familienväter.

Das ZDF etwa gibt sich »überrascht und befremdet« von der Nachricht. Tapperts Sohn Ralph sagte der »Bild«-Zeitung, sein Vater habe ihm nur erzählt, er sei »Soldat in Russland« gewesen.

In seiner Autobiografie, in der von der SS freilich keine Rede ist, heißt es im »Tagesspiegel«, habe Tappert »durchaus vom Krieg erzählt, in einer Mischung aus Anekdoten, Abenteuerromantik und Abscheu«. Ja, und? Diese Erzählweise kann seit Anbruch der Nachkriegszeit als die allgemein übliche unter deutschen NS- und Wehrmachtstätern gelten. Die eigene Beteiligung an Verbrechen wurde eisern beschwiegen oder bis zur Unkenntlichkeit verniedlicht, alles andere wurde zu einem ebenso ominösen wie schicksalhaften Kriegsgeschehen umgelogen, in das man wahlweise »verstrickt« war oder das »über einen hereinbrach«: Anekdoten über die Kälte des russischen Winters, abenteuerromantische Schnurren über die letzte mit dem im Morgengrauen gefallenen Kameraden geteilte Zigarette. Und der Abscheu galt vor allem »dem Russen« und der ihm zugeschriebenen Bestialität.

Dass einer größeren Öffentlichkeit so lange nichts davon bekannt wurde, dass ein populärer Serienschauspieler, dessen Paraderolle ausgerechnet der stets akkurate deutsche Kommissar war, in seinem früheren Leben ein SS-Scherge war, hat schlichtweg damit zu tun, dass keiner nachfragte und dass es über Jahrzehnte hinweg keiner wissen wollte, am allerwenigsten all jene Fernsehzuschauer, die derselben Generation wie Tappert oder dessen Drehbuchschreiber Herbert Reinecker angehören.

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BLOGwoche: Nicht ohne Nazis
Horst Tappert alias »Derrick«

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