Ende der Ära Andreotti

Bis zu seinem Tod mischte sich Italiens oftmaliger Ministerpräsident in die Politik ein

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 2 Min.
Wie kaum ein anderer hat der gestern im Alter von 94 Jahren verstorbene Giulio Andreotti in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Politik Italiens bestimmt - im Guten, aber auch im Schlechten.

Er war sieben Mal Ministerpräsident und 22 Mal Minister. 1947 - mit nur 28 Jahren - saß Giulio Andreotti bereits für die Christdemokratische Partei in der verfassunggebenden Versammlung und war fortan einer der mächtigsten Männer in Italien. Es gibt kaum einen Skandal der letzten 60 Jahre, in den er nicht verwickelt war: die umstürzlerische Freimaurerloge P2, die Staatsstreichversuche in den 70ern, die »Strategie der Spannung«, der schwarze und der rote Terror, die Ermordung des christdemokratischen Politikers Aldo Moro, aber auch Bankenskandale und die Machenschaften der Mafia. Für all das steht der Name Andreotti, auch wenn kaum etwas gerichtsfest bewiesen werden konnte.

In den 90er Jahren, als durch den Zusammenbruch des Parteiensystems auch seine persönliche Macht etwas zu bröckeln schien, landete Andreotti zwei Mal vor Gericht: Wegen der Ermordung des Journalisten Mino Pecorelli (Freispruch in letzter Instanz) und wegen direkter Beziehungen zur sizilianischen Cosa Nostra. In diesem Fall gibt es eine Verurteilung, aber beim Urteilsspruch war das Verbrechen bereits verjährt.

Andreotti galt als intelligent, gewitzt, selbstironisch und auch als zynisch. Er war nie eitel und agierte lieber hinter den Kulissen. So mischte er sich in die Weltpolitik ein (auch ihm sind erste Annäherungsversuche zwischen den USA und Palästina zu verdanken), er gehört zu den Unterzeichnern des Maastricht-Vertrages der EU, versuchte Italien unabhängig von amerikanischen Ölfirmen zu machen und soll auch 1963 bei der Wahl von Kardinal Montini zum Papst Paul VI. mitgemischt haben.

Stets blieb es schwierig, zwischen der Wahrheit und dem Mythos zu unterscheiden, der von Freunden wie von Feinden dieses Mannes gesponnen wurde. In der Öffentlichkeit verlor Andreotti nur einmal die Contenance - als 1992 in Palermo der christdemokratische Politiker Salvo Lima von der Mafia erschossen wurde; er galt als sein Freund und »Statthalter«.

Unter seinen ungezählten Spitznamen sind »Il Divo«, »Macchiavelli« aber auch der »Beelzebub«. Viele Italiener - auch diejenigen, die ihn politisch bekämpften - hatten Respekt vor Andreotti und schätzten seine immer etwas distanzierte Art. Als man ihn vor einigen Jahren fragte, was auf seinem Grabstein stehen solle, sagte er: »Geburtsdatum und Todesdatum. Grabinschriften sind doch alle gleich. Und wenn man sie liest, fragt man sich unweigerlich: Wenn alle so gut waren, wo ist dann der Friedhof der Bösen?« Andreotti wird heute im privaten Kreis in Rom beigesetzt; ein Staatsbegräbnis wollte er nicht.

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