Die Extremismusklausel

Mit Mitteln der Pädagogik gegen Fremdenfeindlichkeit?

  • Ulrich Irion
  • Lesedauer: 2 Min.

Es wird in allen Studien deutlich: Fremdenfeindliche Einstellungen sind kein Problem der extremen Rechten.« Dies ist das Resümee von Klaus Ahlheim, emeritierter Pädagogikprofessor der Universität Duisburg-Essen. »Die ›Partei‹ der Fremdenfeinde ist gewissermaßen eine große Volkspartei, in der sich alle Gruppierungen, alle Glaubensrichtungen, alle Parteien, auch manche Gewerkschafter wiederfinden.« Ahlheim bezieht sich bei seinem bitteren Befund auf die Erhebungen des Forschungsverbundes um den Bielefelder Professor Wilhelm Heitmeyer (»Deutsche Zustände«, 10 Bände, Suhrkamp-Verlag) sowie der Friedrich-Ebert-Stiftung, aber auch auf eigene umfangreiche empirische Tätigkeit, der z. B. die viel beachtete Studie »Nation und Exklusion« entsprang.

Sein neues Buch fasst die Diskussion seit der Aufdeckung des NSU-Terrors zusammen und bringt kritische Einwände gegen das von der großen Politik und den Sicherheitsbehörden verbindlich gemachte Extremismuskonzept vor. Dieses vermische nicht nur konträre Phänomene, es blende vor allem die Tatsache aus, dass Fremdenfeindlichkeit, Ethnozentrismus und Nationalismus aus der Mitte der Gesellschaft kommen.

Ahlheim stellt vielfältige politisch-pädagogische Anstrengungen gegen Rechts vor, die es in der Bundesrepublik seit über einem halben Jahrhundert gibt und die - wie sich bei der Streichung von Fördermitteln immer wieder zeigt - als nutzlos angesehen werden. Der Autor hält es mit Theodor W. Adorno. Er verweist auf dessen Vortrag »Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit?«, gehalten 1959, als Hakenkreuzschmierereien in der Bundesrepublik zunächst »Halbstarken« und »Flegeln«, sodann der Staatssicherheit der DDR zugeschrieben wurden.

Detailliert geht Ahlheim auf die Schwierigkeiten in der pädagogischen Praxis ein. Den Schwerpunkt setzt er auf politische Bildung, auf Angebote der Volkshochschulen sowie konfessionellen oder gewerkschaftlichen Einrichtungen der Jugend- und Erwachsenenbildung. Er zeigt, dass Aufklärung - im Zuge der von den Alliierten 1945 den Deutschen verordneten Reeducation mehr nolens als volens in der Bundesrepublik etabliert - heute im pädagogischen Mainstream unterzugehen droht. Es werde vor allem die Anpassung des Individuums an die »Sachzwänge« der Marktwirtschaft gefordert. Fremdenfeindliche Gewalt wie die des NSU ruft zwar republikweites Entsetzen hervor, doch gleichzeitig wird die Infrastruktur der Bildung zurückgefahren, berufliche Qualifizierung statt politischer favorisiert und antifaschistischen Initiativen mit der berüchtigten Extremismusklausel der Geldhahn abgedreht.

Ahlheim fordert zudem theoretische Klärung: Wie entstehen Vorurteile? Was kann Aufklärung bewirken angesichts gesellschaftlicher Verhältnisse, die autoritäre Strukturen hervorbringen?

Klaus Ahlheim, Rechtsextremismus - Ethnozentrismus - Politische Bildung. Offizin-Verlag, Hannover. 102 S., br., 9,80 €.

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