»Schimpansen sind nicht bessere Menschen«

Gespräch mit Jane Goodall über den Schutz der großen Menschenaffen und den neuen Disney-Film

  • Lesedauer: 4 Min.

nd: Sie sind behütet in England aufgewachsen. Woher rührt Ihr Interesse an Schimpansen?
Goodall: Mit zehn Jahren fiel mir das erste Tarzan-Buch in die Hände. Ich habe es verschlungen, habe mich in den Kerl im Lendenschutz verknallt und beschlossen, später in den Urwald nach Afrika zu gehen und mit wilden Tieren zu leben. Ich habe meiner Familie von diesem Entschluss berichtet. Keiner nahm mich ernst, bis auf meine Mutter.

Was sagte sie zu Ihrem Plan?
Ihr dämmerte wohl bald, dass er kein Kleinmädchentraum war und sie bestärkte mich in meinem Wunsch. Da meine Eltern kein Geld fürs College aufbringen konnten, riet mir meine Mutter zu einer Ausbildung zur Sekretärin. Sie meinte, dieser Beruf werde überall auf der Welt benötigt. Mit 23 Jahren hatte ich genügend Geld zusammengejobbt, um mir die Schiffsreise nach Kenia leisten zu können. Ich wollte dort eine Freundin besuchen. Das Abenteuer Afrika konnte beginnen.

Menschenaffen

Kaum ein Bereich der Biologie zeigt den Streit um den Platz des Menschen in der Natur so deutlich wie die systematische Einordnung der Menschenaffen. Während der Platz der Gibbons als lebende Vertreter der Kleinen Menschenaffen unstrittig ist, ist es bei den Großen Menschenaffen komplizierter: Das »Spektrum-Lexikon der Biologie« zählt nur Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse und Bonobo dazu, die »Encyclopedia Britannica« auch den Homo sapiens und die ausgestorbenen Menschenarten. Zwar geht nur der Mensch regulär aufrecht, doch genetisch sind die Unterschiede sehr klein.

Und Ihr Mädchentraum wurde wahr, als Ihnen der Paläontologe und Anthropologe Louis Leakey die Möglichkeit bot, das Verhalten von Schimpansen zu studieren.
Ja, zunächst arbeitete ich als Sekretärin für ihn. Bis er erkannte, dass ich die geeignete Person mit der richtigen Portion Leidenschaft war, um das Verhalten von Schimpansen zu erforschen. Er versprach sich, davon Schlüsse auf das mögliche Verhalten von Vormenschen ableiten zu können. Über Schimpansen wusste man damals sehr wenig, weil es bis dahin Forschern nicht gelungen war, sich nahe und lange genug bei den Tieren in freier Natur aufzuhalten.

Was fanden Sie bei Ihrer Arbeit über die Schimpansen heraus?
Die bahnbrechendste Erkenntnis war sicher die, dass Schimpansen Werkzeuge benutzen – dass sie mit dünnen Ästen Termiten unter der Baumrinde hervorholten oder Nüsse mit Steinen knackten. Ich konnte beobachten, wie sie ihr Leben im Rudel organisierten oder mit welcher cleveren Strategie sie auf Jagd gingen.

Welche Rolle haben Sie im Schimpansen-Rudel gespielt?
Keine im hierarchischen Sinn. Die Schimpansen haben meine Nähe geduldet, das war schon eine beachtliche Leistung. Mein Ziel war, möglichst wenig wahrgenommen zu werden, sodass sich die Schimpansen so natürlich wie möglich verhielten.

Wie würden Sie Schimpansen charakterisieren?
Man kann schwer einen gemeinsamen Nenner finden. Es gibt aggressive und friedfertige Charaktere und die unterschiedlichsten Temperamente. Als Frau hat mich natürlich vor allem die Mutter-Kind-Beziehung interessiert. Ich habe liebevolle, fürsorgliche, Schimpansenmütter erlebt, aber auch gleichgültige, abweisende Weibchen. Schimpansen sind also nicht die besseren Menschen.

Ihr Sohn Grub wurde im Urwald groß. Konnten Sie als Mutter von den Schimpansen etwas abschauen?
Es hat mich immer berührt, wenn ich miterlebt habe, wie viel Spaß die Schimpansenmütter mit ihren Jungen hatten. Neben aller Fürsorge und Verantwortung für Grub sollte der Spaß keinesfalls zu kurz kommen. Wie die Schimpansenmütter habe auch ich meinen Jungen die ersten drei Jahre nicht aus den Augen gelassen, hatte ständig Körperkontakt. Für die Schimpansen hat er sich jedoch nie sonderlich interessiert. Je älter er wurde, desto lieber verbrachte er seine Freizeit mit den Fischern im Dorf. Seine Welt was das Meer, nicht der Dschungel.

Stimmt es, dass Sie später in Ihrer Zeit an der University of Cambridge für Ihren unorthodoxen Forschungsstil kritisiert wurden?
Das ist richtig. Allein die Tatsache, dass ich meinen Schimpansen Namen anstatt Nummern gab, stieß auf Kopfschütteln. Auch für die Art und Weise, wie ich von den Schimpansen sprach, ihnen Charaktermerkmale und Emotionen zuordnete, wurde ich zurechtgewiesen. Ich habe dann meinen Doktortitel nachgeholt, um von den Wissenschaftlern ernst genommen und mit meinem Forschungsstil akzeptiert zu werden.

Längst haben Sie sich von der Forscherin zur Tier- und Naturschutzaktivistin weiterentwickelt. Welche Ziele verfolgen Sie?
Natürlich ist und bleibt der Schutz der Schimpansen ein Kernanliegen von mir. Ich kämpfe für einen ethischen Umgang mit Tieren, gegen Tierversuche und Gewalt gegen Tiere. Doch ich möchte auch dazu beitragen, dass Regierungen und Individuen achtsamer mit diesem Planeten umgehen. So wie wir heute leben, könnte man meinen, uns stünden sieben, acht Erden zur Verfügung.

1991 haben Sie mit in Tansania die Aktion »Roots & Shoots« ins Leben gerufen, die mittlerweile in 132 Ländern aufgegriffen wurde. Ihre Hoffnung scheinen auf den jungen Menschen zu ruhen.
Sie sind meine ganze Hoffnung. »Roots & Shoots« (englisch: Wurzeln und Sprösslinge) soll Gruppen von Kindern und Jugendlichen dazu ermutigen, eigene Ideen und Projekte im Bereich Natur- und Umweltschutz zu entwickeln und somit in ihrem Umfeld etwas zu einer besseren Welt beizutragen. Sie sind der Grund, weshalb ich unermüdlich durch die Welt reise. Ich glaube an ihre Kraft, aus dem Kreislauf der Gleichgültigkeit und Resignation auszubrechen.

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