Unwürdiger Streit um ein tödliches Virus

Vor 30 Jahren isolierten französische Wissenschaftler den Aids-Erreger

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 4 Min.
Am 20. Mai 1983 erschienen im US-Fachjournal »Science« zwei Artikel, in denen erstmals der Erreger der schon länger bekannten Immunschwächekrankheit Aids vorgestellt wurde. 30 Jahre danach scheint die Krankheit den Höhepunkt überwunden zu haben, doch noch immer sterben Millionen Menschen daran.

»Pneumocystis jirovecii« ist normalerweise ein harmloser Pilz, der selbst bei Menschen mit stark geschwächtem Immunsystem nur äußerst selten eine Lungenentzündung hervorruft. Der US-amerikanische Arzt Michael Gottlieb war deshalb gehörig erstaunt, als er im Frühjahr 1981 erfuhr, dass in Los Angeles gleich fünf junge homosexuelle Männer wegen einer solchen Lungenentzündung in Behandlung waren.

Im Juni 1981 berichtete Gottlieb darüber im Bulletin der US-Gesundheitsbehörde. Zwei der Patienten waren da bereits tot; und bald wurde offenbar, dass auch in anderen Städten der USA Schwule an der seltenen Pilzinfektion litten. Als Ursache vermuteten Ärzte schon früh eine erworbene Immunschwäche, der man 1982 den Namen »Aids« gab (von: »Acquired Immune Deficiency Syndrome«). Im selben Jahr wurden auch in der Bundesrepublik die ersten vier Aids-Fälle registriert - in Frankfurt am Main, München und Westberlin. Doch wie hatten diese Menschen die Immunschwäche erworben? Und warum waren davon vorwiegend Homosexuelle betroffen? Rasch kam das böse Wort von der »Schwulenpest« auf. Und auch religiöse Eiferer heizten die Stimmung an mit Aussagen wie: »Aids ist die Strafe Gottes für die widernatürlichen sexuellen Praktiken von Homosexuellen.« Diese wurden daraufhin in vielen Ländern diskriminiert und angefeindet. Daran änderte auch die nüchterne Feststellung von Wissenschaftlern wenig, dass die sexuelle Übertragbarkeit der Krankheit auf ein Virus als Auslöser hindeute.

Zahlen & Fakten

Das Humane Immundefizienz-Virus (HIV) gehört zu den sogenannten Retroviren. Die speichern ihre Erbinformation in dem Erbmolekül RNA, das in tierischen und pflanzlichen Zellen hauptsächlich zum Ablesen der in DNA-Erbinformation für die Produktion der Eiweißbestandteile dient. Die HIV-RNA kann nicht direkt wirksam werden, sie muss zuvor als DNA in das Erbgut der Wirtszelle eingebaut werden. Das Virus befällt einen bestimmten Typ von Immunzellen, die sogenannten T-Zellen. Mit deren Reduzierung einher geht die Anfälligkeit für andere Infektionen, die dann meist die eigentliche Todesursache sind.

Übertragungswege: Das Virus wird - ähnlich dem Hepatitis-B-Erreger - ausschließlich über Körperflüssigkeiten, hauptsächlich Blut oder Sperma, übertragen. Deswegen wurden anfangs auch viele Menschen über Blutpräparate infiziert.

Infektionen: 2011 lebten 34 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, zwei Drittel davon im subsaharischen Afrika. Die Zahl der Neuinfektionen war von 3,2 Millionen im Jahre 2001 auf 2,5 Millionen gesunken. Insbesondere die Neuinfektion von Kindern konnte nahezu halbiert werden.

Aids-Tote: Nach Schätzungen des Gemeinsames Programms der Vereinten Nationen zu HIV/Aids (UNAIDS) sind bisher etwa 28 Millionen Menschen an Aids gestorben. Die Zahl der Toten durch Aids sank seit 2001 ebenfalls leicht von 1,9 auf 1,7 Millionen, die meisten davon im südlichen Afrika.

Therapie: Mit einer Kombinationstherapie, bei der drei bis vier antivirale Mittel gleichzeitig verabreicht werden, kann man inzwischen das Virus soweit zurückdrängen, dass es im Blut nicht mehr nachweisbar ist. Damit normalisiert sich die Lebenserwartung und es werden insbesondere Mutter-Kind-Infektionen vermieden.

Zukunft: Die Entdeckung einiger HIV-Infizierter, die auch nach 15 Jahren nicht erkrankten, lässt Wissenschaftler auf einen neuen Behandlungsansatz hoffen. StS

Tatsächlich gelang es 1983 einem französischen Medizinerteam um Luc Montagnier und Françoise Barré-Sinoussi, das gesuchte Virus in den Lymphknoten eines Aids-Patienten nachzuweisen. Am 20. Mai desselben Jahres berichteten die Forscher darüber im Fachblatt »Science« - zum Ärger ihres US-Kollegen Robert Gallo, der ebenfalls fieberhaft nach dem Virus gefahndet, aber zunächst eine falsche Spur verfolgt hatte. Und obwohl er erst mit Hilfe von Labormaterial aus Frankreich das »richtige« Virus fand, ließ sich Gallo gegen alle Regeln der wissenschaftlichen Fairness 1984 in den USA zum alleinigen Entdecker des Aids-Erregers HIV küren. Außerdem sicherte er sich das lukrative Patent für den ersten Antikörper-Test. In der Folge entbrannte zwischen Montagnier und Gallo ein heftiger Prioritätsstreit, an dessen Schlichtung zuletzt sogar die Präsidenten Jacques Chirac und Ronald Reagan beteiligt waren. 1987 kamen die Institute der streitenden Mediziner überein, sich die Entdeckung des HI-Virus sowie die Lizenzeinnahmen aus dem Testverfahren zu teilen. Danach vergingen weitere 21 Jahre, ehe man sich in Stockholm entschloss, Montagnier und Barré-Sinoussi mit dem Medizin-Nobelpreis zu ehren. Gallo ging leer aus, zumal er eingestehen musste, dass die Franzosen vor ihm das Retrovirus HIV entdeckt hatten.

Auch die Herkunft des Aids-Erregers war lange umstritten. Für weltweites Aufsehen sorgte der Ostberliner Biologe Jakob Segal, der 1986 behauptete, das HI-Virus sei in einem US-Labor für militärische Zwecke künstlich hergestellt worden. Wie neuere Analysen indes nahelegen, wurde der Vorläufer des Aids-Erregers bereits zwischen 1902 und 1921 in Afrika von Schimpansen auf Menschen übertragen. Wie genau dies vonstatten ging, ist bis heute unklar. Vermutlich hatten Jäger infizierte Schimpansen getötet, verspeist und sich dabei mit dem Virus angesteckt. Darüber hinaus existiert eine Blutprobe aus dem Jahr 1959, entnommen in Kongo, die zweifelsfrei HIV-Antikörper enthält. 1978 wurde der früheste Aids-Fall in der Bundesrepublik dokumentiert, den man allerdings erst rückblickend als solchen erkannte.

Trotz aller Erfolge mit antiviralen Therapien halten manche Wissenschaftler bis heute daran fest, dass Aids keine durch HIV ausgelöste Infektionskrankheit sei. Wohin eine solche Ignoranz führen kann, zeigt das Beispiel Südafrika. Hier war im Jahr 2000 der US-amerikanische Virologe Peter Duesberg von Präsident Thabo Mbeki in die nationale Aids-Beratungskommission berufen worden. Tatsächlich gelang es Duesberg zeitweilig, der Regierung einzureden, dass nicht HI-Viren, sondern vor allem Unterernährung und Drogenmissbrauch das klinische Bild von Aids prägten. Daraufhin wurde in Südafrika die Behandlung mit antiviralen Medikamenten gestoppt, was dazu führte, dass innerhalb weniger Jahre mehrere hunderttausend Menschen frühzeitig an Aids starben. Auch heute erhalten viele HIV-Infizierte in den Entwicklungsländern nicht die nötigen Medikamente: Ihnen fehlt schlicht das Geld, sie zu bezahlen.

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