Weil wir Nachbarn sind

Die Europaabgeordnete Cornelia Ernst fordert ein Ende der Diskriminierung von Roma in der EU

  • Cornelia Ernst
  • Lesedauer: 3 Min.

Als ich im tschechischen Varnsdorf Roma besuchte, landete ich in einem Asylbewerberheim. Die meisten Familien dort sind tschechische Staatsbürger. Sie hatten vor der »Wende« bescheidenen Wohlstand, Arbeit, wenn auch wenig qualifizierte, und eigene Wohnungen. Heute sind 90 Prozent von ihnen ohne festen Job und leben in miserablen Gemeinschaftsunterkünften zusammengepfercht. Die Kinder gehen, qua Ethnie als geistig behindert eingestuft, in Sonderschulen. Zugewanderte Roma kommen aus dem Raum Prag und Städten, wo sie Immobilienunternehmen im Wege waren. Vertrieben aus ihren Wohnungen, sitzen sie beispielsweise im Grenzgebiet nahe der Bundesrepublik in heruntergekommenen Häusern - ohne Arbeit, ohne Anbindung. Die gleiche Situation gibt es vielerorts, auch in Usti nad Labem, wo kürzlich Roma aus ihren Wohnungen in Unterkünfte verdrängt wurden, in denen es weder Strom noch Warmwasser gibt.

300 000 Roma leben in unserem Nachbarland. Jeder dritte ist Analphabet. Sie sind Asylbewerber im eigenen Land. Gab es vor 1989 nur zwölf Roma-Ghettos, so sind es jetzt über 300.

In einer Antwort der EU-Kommissarin Viviane Reding auf meine parlamentarische Anfrage zur Wohnungssituation von Roma in Usti heißt es, dass der Kommission keine Informationen über bestätigte Zuweisungen tschechischer Haushaltsmittel für die Integration von Roma vorliegen. Jedoch seien aus dem EU-Regionalfonds 14 Millionen Euro geflossen, unter anderem für Wohnungen. Aus dem Europäischen Sozialfonds kann die Tschechische Republik 47 Millionen Euro EU-Mittel für die Verbesserung der Wohnsituation von Roma erhalten, für Chancengleichheit der Kinder und Schüler sogar 127,3 Millionen Euro. Etwa vier Prozent aller EU-Mittel in der jetzigen Förderperiode können Roma in der EU zugute kommen, doch nur ein Drittel wurde von den Mitgliedsstaaten abgefordert. Es liegt also nicht am Geld, sondern am politischen Willen.

Zudem fordert die vor zwei Jahren mit viel Pomp beschlossene EU-Roma-Strategie diskriminierungsfreien Zugang zu Wohnraum, gezielte Wohnungsprogramme, den Abbau des Rückstandes gegenüber der Gesamtbevölkerung. Die Mitgliedsstaaten müssen eine nationale Strategie auf den Tisch legen und jährlich der Kommission über deren Umsetzung im Bereich Bildung, Beschäftigung, Gesundheit und Wohnen berichten. Wie überall steckt aber der Teufel im Detail - die EU-Roma-Strategie ist nicht verbindlich und sie sieht keinerlei Sanktionen bei ihrer Nichteinhaltung vor. Außerdem umschifft sie ein Kernproblem - die zwingend erforderliche und aktive Bekämpfung der Romafeindlichkeit.

Rassismus und Gewalt gegen Roma haben in den letzten Jahren europaweit eine völlig neue Qualität erreicht. Deshalb müssen neben der Förderung von Projektarbeit unbedingt staatliche Maßnahmen ergriffen und Kampagnen gegen Rassismus und Ausgrenzung von Roma und Sinti in der gesamten EU initiiert werden. Bürgermeister, Kommunen, Regionen müssen zur Integration von Roma ermuntert werden. Entscheidend ist die Stärkung der Selbstorganisation von Roma und Sinti und damit ihrer Durchsetzungsfähigkeit.

Wir als Linke unterstützen die Proteste von Roma gegen Diskriminierung und Menschenverachtung in Tschechien wie in Ungarn, Rumänien, Bulgarien, aber auch auf dem Westbalkan und im eigenen Land. Dazu gehört auch die klare Ablehnung der Abschiebung von Roma aus der EU in Drittstaaten wie Kosovo. Roma haben für sich nie etwas Besonderes eingeklagt. Ihnen geht es weder um Sonderrechte noch um die mildtätige Toleranz der Mehrheitsgesellschaft. Worum es geht ist Gleichheit und Respekt. Denn wir sind Nachbarn.

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