Gerammt vom Schwerlaster

Shellac im Berghain

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.

Heute ist Ü-40-Party im Berghain. Dort hat am Abend ein 50-jähriger Brillenträger aus Chicago mit seiner Band Shellac einen seiner seltenen Live-Auftritte: Der unscheinbar wirkende Mann, der einmal der legendären Hardcore-Punk-Formation Big Black vorstand, die mit ihrem bedrohlichen Presslufthammer- und Schleifmaschinengetöse-Album »Songs about Fucking« (1987) eine der schönsten und bösesten Alptraumplatten des 20. Jahrhunderts aufgenommen hat, heißt Steve Albini. Ein Name, den bis heute nur Freundinnen und Freunde des gehobenen Gitarrenkrachs einander kennerhaft zuflüstern, der sonst aber wenigen bekannt ist, was auch daran liegen mag, dass der Mann erfreulicherweise wenig Wind um seine Person macht. Wenn sein Name auch auf einigen Platten bzw. CDs zu finden sein dürfte, die bei Ihnen oder Ihren Kindern zuhause herumstehen. Zu den hunderten oder tausenden von Indie-Gitarren-Bands, deren charakteristischen Klang er als Produzent und Toningenieur maßgeblich prägte, gehören auch solche, die beinahe jeder kennt: Pixies, Breeders, P.J. Harvey, Nirvana, Jon Spencer Blues Explosion.

Albini kann als einer von den Guten gelten, als Überzeugungstäter, als einer, der bis heute dem Big Business skeptisch gegenübersteht und dafür lieber eine Schülerband in einer alten Garage aufnehmen würde, wenn ihn deren Musik überzeugt. Wenigstens ist das der Ruf, den er genießt. Einen »Quasi-Gewerkschafter des Rock« nennt ihn der Journalist Jan Poppke.

Seit 1992 bereits betreibt Albini mit zwei Kollegen sein eigenes Bandprojekt Shellac, das wegweisend wurde für den sogenannten Mathrock und mit dem er sich am Kommerzzirkus der Popmusik nur eingeschränkt beteiligt: Ein neues Album wird nur alle paar Jubeljahre eingespielt, wenn man Lust dazu hat, und Konzerte werden genauso sporadisch gegeben. Der heutige Abend dürfte vor allem jene Generation anlocken, die in den späten achtziger Jahren damit beschäftigt war, die Reste des Hardcore-Punk zusammenzufegen und einen moderneren, sperrigeren Sound daraus zu formen als den larmoyanten Teenie-Rock, mit dem Nirvana in die Charts kam.

Man wird fortschrittliche Stromgitarrenmusik zu hören bekommen, bei der gewiss nicht zu befürchten sein wird, dass sie unterkomplex ausfällt. Der Sound wird, wie immer bei Steve Albini, klar, streng und trocken sein. Gitarre, Bass, Schlagzeug. Rums, Bumm, Zack. Kein Pathos, keine Mätzchen, kein Firlefanz, keine Ornamente, kein Mummenschanz.

Ein kantiger, schroffer, kalter, minimalistischer Noise-Rock, dem das Kunststück gelingt, wie eine Kollektion überaus präzise getakteter und geordneter Auffahrunfallgeräusche zu klingen. Zum Tanzen taugt das zwar nicht, aber: Wer will schon tanzen, wenn eine Musik einem auch das erhebende Gefühl verschaffen kann, von einem Schwerlaster gerammt zu werden, der zielgerichtet gegen eine Betonwand fährt.

20 Uhr, Berghain, Am Wriezener Bahnhof, 10243 Berlin

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