Zwei Männer machen Geschichte

Frankreich erlebte seine erste Schwulenhochzeit

  • Robert Schmidt, Lyon
  • Lesedauer: 3 Min.
In Frankreich stand am Mittwoch die landesweit erste Schwulenhochzeit auf dem Programm. Die »Ehe für alle« ist der Erfolg einer jahrzehntelangen Aktivistenbewegung.

140 Akkreditierungsanfragen von Journalisten aus aller Welt hat es gegeben, 200 Polizisten waren zugegen. Für den Mittwochabend war in Montpellier an der französischen Mittelmeerküste die landesweit erste Hochzeit eines schwulen Paares angekündigt. Bei dem Paar handelte sich um Vincent Autin und Bruno Boileau, den 40-jährigen Vorsitzenden des örtlichen LGBT-Verbandes (Lesbian, Gay, Bisexual, Trans; dt. Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans) und seinen zehn Jahre jüngeren Freund, einen Beamten.

Frankreich hatte die Homo-Ehe als 14. Land weltweit eingeführt. Gegen die Reform waren die konservative Opposition und die katholische Kirche Sturm gelaufen. Schon seit Monaten gibt es riesige Demonstrationen gegen die Mitte des Monats beschlossene »Ehe für alle« - teils mit gewaltsamen Ausschreitungen.

Am vergangenen Dienstagabend gab es im Schwul-lesbischen Forum in Lyon ein dringenderes Thema als die anstehende Hochzeit. »Wir werden zur Zielscheibe«, ärgert sich der Vorsitzende Bernard Goujet. Unbekannte hätten kürzlich das Fenster des Vereinshauses beschmiert. Bald sei Gay-Pride-Demonstration, da passe man auf sich auf. »Jetzt erst recht!«, antwortet Goujet dennoch auf die Frage, ob er immer noch heiraten möchte. »Wir heiraten, weil wir Vorbild sind«, hatten er und sein Freund Jean-Paul Bidet bereits vor Monaten angekündigt. Damals war noch nicht klar, ob die sozialistische Regierung unter Präsident François Hollande Frankreichs Homosexuelle tatsächlich bei Ehe und Adoption gleichstellen würde.

Schon seit den 1980er Jahren ist das Aktivistenpaar in der Schwulenbewegung aktiv. »In unserer Jugend war Homosexualität noch strafbar«, erinnert sich Bernard. »Sex in der Öffentlichkeit wurde bei Heteros gerne übersehen, für uns galt das nicht.« 1982 ermöglichte die sozialistische Regierung unter François Mitterrand die Straffreiheit für Homosexuelle: »Wir waren darin die allererste Generation, Outing hieß damals: Aktivist sein.«

An diesem Abend ist Bernard der einzige im Forum, der eine Hochzeit plant. Er steht hinter der Bar, schenkt Wein und Bier aus. Die Stimmung ist ausgelassen. Sechs ältere Herren sitzen am Tresen, eine Frau gehört zur Gesellschaft und eine Transsexuelle. Einer der Männer, der sich als Pierre vorstellt, sagt, dass er bis 2009 »gepacst« gewesen sei. PACS, so nennt man in Frankreich eine 1999 eingeführte eingetragene Partnerschaft mit Vorteilen im Erb- und Steuerrecht. Ob er mal heiraten möchte? Er sei »der Letzte, der das machen würde.« Das sei »für die Jungen«. Die sollten es »diesen Katholiken« mal so richtig zeigen: »Die Republik soll uns endlich anerkennen.«

Pierres Barnachbar, Schnurrbartträger Jeff, ist 73 Jahre alt und nach eigenen Angaben seit 1960 mit einer Frau verheiratet. Sich trennen und dann neu heiraten werde er schon aus finanziellen Gründen nicht: »Ich ertrage die Macken meiner Frau, sie erträgt meine Affären.«

Jeffs lesbische Barnachbarin Janine, ebenfalls im Rentenalter, freut sich über die Hochzeit in Montpellier: »Das ist eine ganz natürliche Entwicklung der Gesellschaft.« Sie selbst werde aber bestimmt nicht heiraten. Sie sei sechs Jahre lang verheiratet gewesen, habe eine Tochter aus der Ehe. »Wir haben uns unnormal gefühlt«, sagt sie über ihre Homosexualität. »Die Gesellschaft hat uns unterdrückt.«

Die Transsexuelle Andrea ist mit einer Frau verheiratet, hat zwei Kinder. »Um das hier ausleben zu können, habe ich bis zur Rente gewartet«, erklärt sie. Die Ehe solle für alle offen sein, die sie wollen: »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. In Frankreich ist das so.«

Die Schwulen-Hochzeit in Montpellier, so scheint es, ist ein Geschenk der alten Generation an die neue.

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