NSU-Prozess: Angeklagter Carsten Schultze sagt aus

Fünfter Prozesstag beendet

  • René Heilig, München
  • Lesedauer: 8 Min.
Am Dienstag, dem 4. Juni wird in München der NSU-Prozess fortgesetzt. Nachdem nun doch schon die Anklageschrift verlesen worden ist, gibt es Anzeichen, dass es nun zügig zur Sache gehen kann. Shanghai Drenger sprach dazu mit Berichterstatter Friedrich Burschel. "neues deutschland" veröffentlicht das Interview mit freundlicher Genehmigung von Radio LOTTE.

5. Prozesstag 4. Juni 2013

Fünfter Prozesstag geht mit Aussage von Carsten Schultze zu Ende

Der NSU-Prozess in den Medien
 

NSU-Prozess: Die Protokolle von NSU Watch

Das NSU Watch Blog veröffentlicht auf seiner Webseite www.nsu-watch.info Protokolle der einzelnen Prozesstage am Oberlandesgericht in München auf deutsch, englisch und türkisch.

Protokoll 1. Verhandlungstag vom 6. Mai
Protokoll 2. Verhandlungstag vom 14. Mai
Protokoll 3. Verhandlungstag vom 15. Mai
Protokoll 4. Verhandlungstag vom 16. Mai
Protokoll 5. Verhandlungstag vom 4. Juni
Protokoll 6. Verhandlungstag vom 5. Juni
Protokoll 7. Verhandlungstag vom 6. Juni
Protokoll 8. Verhandlungstag vom 11. Juni
Protokoll 9. Verhandlungstag vom 12. Juni
Protokoll 10. Verhandlungstag vom 13. Juni
 

Medienschau zum NSU-Prozess

Der NSU-Prozess wird von einer enormen medialen Aufmerksamkeit begleitet. Hier finden Sie eine Übersicht über die wichtigsten Blogs, Liveticker, interaktiven Grafiken und Dossiers zum Thema "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und zum Prozess am OLG München. Mehr

 

 

 

 

 

(dpa/nd). Die Sitzung wurde bis zum Mittwoch unterbrochen.

Die Angeklagten hatten einen anstrengenden Dienstag Nachmittag vor Gericht, denn nachdem sich der Antragsfundus ihrer Verteidiger offensichtlich erschöpft hatte, kam der als Helfer des NSU mitangeklagte Carsten Schultze zu Wort. Erstmals Klartext, erstmals Angaben dazu, wie sich das Grauen zugetragen hat.
Die Schilderung seines Heranwachsens, seines Einstiegs in die Neonazi-Szene und des Bewusstwerdens, dass er schwul ist und schon deshalb nichts bei der rechtsradikalen Bewegung verloren hat, war stellenweise durchaus bewegend. Doch Schultze hat - sicher damals unbewusst - dazu beigetragen, dass neun Menschen hingerichtet wurden. Aus purem Rassenwahn, wie die Anklage vermutet. Schultze, der später in Düsseldorf eine soziale Fachhochschule besuchte und in schwul-lesbischen und AIDS-Projekten mitgearbeitet hat, besorgte die wichtigste Mordwaffe der NSU-Killer, eine Ceska 83 mit Schalldämpfer.

Als er in der Nazibewegung aufstieg, zum NPD- und JN-Funktionär wurde, erwarb er sich auch das Vertrauen seiner Spießgesellen. Ralf Wohlleben, einer der in Jena das Sagen hatte, machte Schultze zum Kontakthalter für das untergetauchte Bombenbastler-Trio Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Er hatte das Handy, in dessen Mailbox die untergetauchten Kameraden ihre Wünsche formulierten. Einmal wünschten sich Uwe und Uwe eine Waffe. Möglichst eine deutsche mit Munition.
Den Wunsch der Untergetauchten Kameraden nach einer Waffe habe er Wohlleben übermittelt, sagt Carsten Schultze aus. Der sagte nur: Geh zu Schulz ins “Madley”. Das ist ein Szeneladen in Jena.

Besagter Schulz tat sein Möglichstes. Doch er konnte nur eine osteuropäische Pistole mit Schalldämpfer und Munition besorgen. Die oder keine. Wohlleben sagte okay, gab Schultze das verlangte Geld. Der holte die Knarre ab, versteckte sie eiligst unter dem Fahrersitz, um sie dann “Herrn Wohlleben”, wie es jetzt vor Gericht immer heißt, zu bringen. Der Naziführer, der von Nicole Schneiders, seiner einstigen NPD-Vizevorsitzenden in Jena verteidigt wird, hatte Lederhandschuhe an, als er den Schalldämpfer aufschraubte. Die beiden Uwes gaben telefonisch die Anweisung, wann Schultze mit der Waffe in Chemnitz zu erscheinen hatte. Bis er dahin fuhr, “lag die Ceska unter meinem Bett im Kinderzimmer”, erinnert der sich. Dort im Bettkasten war das versteck, wo er vieles vor dem strengen Vater verborgen hat. Später fuhr er nach Chemnitz, die beiden Uwes holten ihn vom Bahnhof ab. In einem Café sei Frau Zschäpe kurz hinzugekommen. Später hat Schultze, der von den Uwes immer nur der “Kleene” genannt worden ist, die Ceska dann in einem Abbruchhaus an die beiden Empfänger übergeben. Die gaben ihm das Geld dafür. Dass es sich, wie Kumpane ausgesagt haben, um 2500 Mark gehandelt hat, bezweifelt Schultze.

Vom Richter gefragt, ob das wirklich so normal war, eine Waffe für drei Gesuchte zu beschaffen, antwortete der Befragte: Er habe nur an “die drei armen Verfolgten” gedacht, “denen man helfen muss”. Er habe, was die Drei anging, “so ein positives Gefühl” gehabt und gedacht, “die Drei sind in Ordnung”. Das klang dann doch für manchen Zuhörer etwas sehr naiv. Am Mittwoch wird die Befragung fortgesetzt. Auch der Angeklagte Holger Gerlach will angeblich “reinen Tisch” machen.

Prozess unterbrochen

Abermalige Unterbrechung. Grund: der Vorsitzende sah es nicht als notwendig an, Vertreter des Verfassungsschutzes und vom Bundeskriminalamt sowie entsprechender Länderbehörden als Prozessbeobachter generell auszuschließen. Diese Entscheidung des Senats wurde von mehreren Parteien beanstandet. Rechtsanwalt Narim, erinnerte an ein Vorkommnis im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, das eine Beeinflussung von Polizeizeugen nach vorangegangener Ausschussbeobachtung durch Behörden vermuten lassen. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass das Gericht beabsichtigt, Mitarbeiter aus dem Verfassungsschutz und von LKA als Zeugen zu hören.

Und weiter geht es mit den Anträgen

Die Zschäpe-Anwälte Sturm und Heer beantragten eine förmliche Anfrage bei allen in Frage kommenden Dienststellen. Man sollte beispielsweise anhand der Personalausweise klären, ob Vertreter des BfV oder den BKA oder des MAD anwesend sind. Der Vertreter des Generalbundesanwaltes regte an, die Frage der Prozessbeobachtung durch solche Dienste generell zu entscheiden. Eine abermalige Unterbrechung folgte.

Antrag der Zschäpe-Verteidigung zurückgewiesen

Die Bundesanwaltschaft wies ebenso wie Vertreter der Nebenklage den Antrag der Zschäpe-Verteidigung als unbegründet zurück. Ein weiterer Antrag aus den Reihen der Nebenkläger betraf die Prozessbeobachtung durch Vertreter des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Beide Behörden hatten die Entsendung von Mitarbeitern zum Prozess schriftlich angekündigt, um weitere Ermittlungserkenntnisse zu gewinnen und Partner wie beispielsweise die Staatsschutzabteilungen in den Ländern zu informieren. Eine solche Vorgehensweise sei im Interesse einen geordneten Prozessführung nicht tolerierbar. Die Verteidigung von Zschäpe und Wohlleben schlossen sich dem Antrag an. Daraufhin fragte der Vorsitzende in die Runde: „Sind behördliche Beobachter im Saal?“ Nachdem keine Antwort folgte, wurde die Verhandlung erneut unterbrochen.

Zschäpe-Verteidiger fordern Prozesseinstellung wegen Vorverurteilung

Kurz nach 11.30 Uhr wurde der Prozess unterbrochen. Nachdem der Vorsitzende Richter Manfred Götzl zu Beginn eine Reihe von Anträgen der Verteidigung, die aus vorangegangenen Verhandlungstagen anstanden, abgelehnt hatte, überraschte die Verteidigung von Beate Zschäpe den Senat mit einem Antrag zur Einstellung des Prozesses.

Als Grund gab Rechtsanwältin Anja Sturm an, dass ihre Mandantin durch die Ermittlungsbehörden, andere staatliche Stellen sowie verantwortliche Politiker vorverurteilt worden sei. Sie beschuldigte den Generalbundesanwalt und den BKA-Präsidenten, stets von der Existenz einer rechtsextremistischen “NSU-Terrorgruppe” und einer “rechtsextremistischen Mörderbande” ausgegangen zu sein und das auch öffentlich so kommuniziert zu haben.

Auch die Behauptung, dass Zschäpe an der Gründung des angeblichen NSU beteiligt gewesen ist, müsse erst von durch das Hauptverfahren bewiesen werden. Rechtsstaatliche Grundprinzipien seien missachtet worden. Zugleich kritisierte die Verteidigung, dass kein Verfahrensbeteiligter sich ein Bild über die Vielzahl von Vertrauenspersonen machen kann, die über viele Jahre zum Teil an exponierter Stelle im Umfeld der Angeklagten gewirkt haben.

Sie verwies auf Tino Brandt (“Otto”), Thomas Richter (“Corelli”), auf die Vertrauensperson des Berliner Landeskriminalamtes Thomas Starke, auf den Brandenburger V-Mann “Piatto” oder die ehemalige V-Frau des Landesamtes in Stuttgart, die den Decknamen “Krokus” getragen hat. Maßgeblicher Grund für die Forderung nach Einstellung des Verfahrens waren auch die Schredderaktionen in verschiedenen Ländern und im Bund.

Der fünfte Prozesstag im NSU-Verfahren wird eröffnet

Aus München berichtet René Heilig

Beate Zschäpe folgt ihrer bisherigen Taktik: Rücken zu den Objektiven, Smalltalk mit den Rechtsanwälten. Gerlach und Schultze verbergen ihre Gesichter, Eminger erscheint mit Sonnenbrille.

Neben dem Prozess gegen Zschäpe&Co. laufen noch fünf Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern weiter. Spannend könnte es morgen im Bayrischen NSU-Ausschuss werden. Dann könnte beispielsweise zur Sprache kommen, dass Sicherheitsbehörden des Bundes einen Anwalt, der im NSU-Prozess als Rechtsbeistand von Nebenklägern arbeitet, bespitzelt haben.

In Thüringen wird man sich in dieser Woche unter anderem mit Ungereimtheiten bei der Garagendurchsuchung Anfang 1998 befassen. Auffällig rasch hatte der Thüringer Verfassungsschutz die Garage als Bombenbastlerwerkstatt ausgemacht. Staatsanwaltschaft und Polizei hatten es damals nicht verhindert, dass die Verdächtigen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe abtauchen konnten. Mit Spannung erwartet wird am Donnerstag die Vernehmung der Mutter des mutmaßlichen Terroristen Uwe Böhnhardt. Zur Sprache kommen könnten dabei auch diverse Angebote des Verfassungsschutzes und des Thüringer Landeskriminalamtes an Böhnhardt.

Die Anzahl der Übertragungswagen für Rundfunk und Fernsehen vor dem Justizgebäude in der Nymphenburgerstraße in München hat im Vergleich zu den Eröffnungstagen stark abgenommen. Das Hochwasser in Bayern beherrscht die Schlagzeilen in den regionalen Zeitungen.

Ob der NSU-Prozess in den morgigen Ausgaben einen höheren Stellenwert hat, hängt vor allem davon ab, ob man heute zu ersten inhaltlichen Fragen der beispiellosen rechtsterroristischen Mordserie vordringt. Noch aber stehen verschiedene Anträge zur Entscheidung an.

NSU-Prozess: Zwei Angeklagte wollen aussagen

Heute soll der NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München endlich zu seinem Gegenstand kommen. Nach allerlei juristischem Kräftemessen zwischen den Verteidigern der mutmaßlichen Rechtsterroristen und dem Gericht und einer längeren Pfingstpause werden heute Aussagen von Carsten Schultze und Holger Gerlach erwartet.

Beide sitzen im Verhandlungssaal auf der hinteren Anklagebank und wollen sich auch sonst von den mutmaßlichen Haupttätern absetzen. Beide sind in einem Zeugenschutzprogramm und beide haben vor Wochen bereits verlauten lassen, dass sie aussagebereit seien. Der 33-jährige Schultze gehörte Ende der 90er Jahre zur rechtsextremen Szene in Jena

Im Jahr 2000, so behauptet er, habe er sich von der Szene abgewandt. Doch: Zuvor hat er den seit 1998 untergetauchten Rechtsterroristen Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe die Ceska-Pistole übergeben, die bei neun der zehn Morde das Hauptwerkzeug war. Deshalb ist der Ex-Nazi der Beihilfe zum Mord in neun Fällen angeklagt.

Auch Holger Gerlach soll die sogenannte Zwickauer Zelle jahrelang unterstützt haben. Er soll den NSU-Mördern unter anderen Papiere verschafft haben. Von deren Taten will er jedoch nichts gewusst haben. Es ist vor beginn des Prozesstages noch nicht klar, ob auch Gerlach Fragen beantworten will. Das aber wird erwartet, denn er könnte unter anderem Details über die Rolle von Beate Zschäpe innerhalb des Terrortrios ausplaudern. Zschäpe selbst, so scheint sicher zu sein, wird weiter schweigen. Die selbe Strategie verfolgt der Angeklagte André Eminger.

Der Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben, so hört man von seinen Verteidigern, will eine Erklärung verlesen lassen. Ob der Prozesstag, der um 9.30 Uhr beginnen soll, wieder durch zahlreiche Anträge in die Länge gezogen wird, ist noch unklar.

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