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Erdogan im »Krieg gegen die eigene Bevölkerung«

Türkische Polizei geht weiter gewaltsam gegen Regierungsgegner auf dem Taksim-Platz und in Ankara vor / UN-Generalsekretär zeigt sich besorgt

  • Lesedauer: 3 Min.

Istanbul (Agenturen/nd). In der Türkei geht die Polizei weiter gewaltsam gegen Kritiker der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor. In der Nacht zum Mittwoch räumten Sicherheitskräfte den zentralen Taksim-Platz in Istanbul, den Ausgangspunkt der vor knapp zwei Wochen begonnenen Proteste. Dabei setzte die Polizei erneut Wasserwerfer und Tränengas ein. Auch aus der Hauptstadt Ankara wurde massives Vorgehen der Polizei gemeldet.

Inzwischen haben sich sogar die Vereinten Nationen eingeschaltet: UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief alle Beteiligten zu friedlichem Dialog auf. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rolf Mützenich, kritisierte das gewaltsame Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte. „Die Entwicklungen der letzten Stunden sind Besorgnis erregend“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“. Die Regierung habe damit ein Versprechen gebrochen. „Was sollen jetzt noch Gespräche?“

Der Großeinsatz der türkischen Polizei gegen die Demonstranten auf dem Taksim-Platz hatte die Lage am Dienstag nach zehn Tagen zumeist friedlicher Proteste dramatisch verschärft. Schwer gerüstete Einsatzkräfte attackierten am Abend Zehntausende Demonstranten mit Wasserwerfern und Tränengas, berichteten Augenzeugen. Aus Reihen der Demonstranten wurde sie mit Steinen beworfen. Medien berichteten über Vorwürfe gegen die Polizei, diese würde Provokateure einsetzen. Am frühen Mittwochmorgen war der Platz weitgehend geräumt. "Die türkische Polizei führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung", berichtete der Taz-Mitarbieter Felix Dachsel aus Istanbul.

Auf Fernsehbildern waren Demonstranten zu sehen, die verletzte oder kollabierte Protestler vom Platz schleppten. Notarztwagen transportierten am Abend Verletzte ab, ohne dass deren Zahl zunächst bekannt wurde. In mindestens einem Hotel wurde eine improvisierte Aufnahmestation für Verletzte eingerichtet. Medien berichten, dass sich die Demonstranten in die Nebenstraßen des Platzes und den benachbarten Gezi-Park zurückgezogen hatten. Auf dem Platz selbst waren nur noch Einsatzkräfte und Bulldozer zu sehen, die Trümmer und Barrikaden wegräumten. Obwohl die Behörden versichert hatten, das Protestlager im Gezi-Park nicht räumen zu wollen, drangen Sicherheitskräfte nach Angaben von Aktivisten am Abend erneut in das Camp ein. Die Demonstranten harrten aber auch am frühen Morgen noch in dem Lager aus.

Stunden zuvor hatte Erdogan ein „Ende der Toleranz“ angekündigt. In einer im Fernsehen übertragenen Rede vor Abgeordneten seiner Regierungspartei AKP verlangte er von den Demonstranten auf dem Taksim-Platz und anderenorts, die Proteste aufzugeben. „Aber für die, die weitermachen wollen, sage ich: Es ist vorbei.“ Der Gouverneur von Istanbul, Hüseyin Avni Mutlu, beschuldigte die Demonstranten unterdessen, die Polizei angegriffen zu haben. Der Einsatz auf dem Platz werde so lange fortgesetzt, wie nötig, sagte er.

Auch in Ankara kam es am späten Abend wieder zu Protesten. Die Korrespondentin des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira berichtete aus der Hauptstadt, dass die Polizei auch dort Wasserwerfer und Tränengas gegen die Gegner Erdogans vorgegangen sei. Etwa 5000 Demonstranten hatten sich demnach im Regierungsbezirk Kizilay versammelt und lautstark den Rücktritt der Regierung gefordert.

Ursprünglich hatten sich die Proteste an einem Plan zur Überbauung des Gezi-Parks in Istanbul entzündet. Nach der gewaltsamen Räumung des Protestcamps hatten sie sich aber zu einer landesweiten Protestwelle gegen den als immer autoritärer empfundenen Kurs Erdogans ausgeweitet.

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