Neue Schlaglichter auf die Verbrechen des NSU

Wahrheitsgehalt der Aussagen des Angeklagten Schultze müssen überprüft werden

  • Lesedauer: 3 Min.
Von René HeiligBeim sogenannten NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München haben Aussagen eines Angeklagten zusätzliche Fragen aufgeworfen. Die Darstellungen werfen auch ein Schlaglicht auf den »Ermittlungseifer« der Sicherheitsbehörden.

Wie bekommt man heraus, ob ein Angeklagter die Wahrheit sagt? Indem man - so das nicht bereits geschehen ist - alle Fakten überprüft. Der wegen Beihilfe zum Mord angeklagte NSU-Helfer Carsten Schultze hatte am Dienstag beschlossen, »reinen Tisch zu machen« und diese Absicht auch am gestrigen Mittwoch verfolgt. Es kommt also Arbeit und womöglich auch Ärger zu auf das Bundeskriminalamt und Bayerns Behörden.

Schultze erinnert sich vor allem in Bildern. Er ist extrem aufgewühlt, wenn er diese Bilder in Sprache umsetzt. Ende 1999 oder Anfang 2000 habe er sich als Waffenbote in einem Chemnitzer Café mit den Terroristen Böhnhardt und Mundlos unterhalten.

Die Uwes hätten ihn immer nur den »Kleenen« genannt und auch so behandelt. Dennoch erzählten sie ihm Dinge, die ihr Untergrunddasein gefährdeten? Seltsam. Sie hätten ihm zu verstehen gegeben, immer bewaffnet zu sein. Schultze hat das Bild einer israelischen Uzi vor Augen. Vielleicht spielt ihm auch das Gedächtnis einen Streich, denn im Wohnwagen der beiden toten NSU-Terroristen Mundlos und Böhnhardt fand sich »nur« eine kroatische Pitter-MPi.

Die Uwes erzählten auch von der »Taschenlampe«, die sie in einem Nürnberger »Laden« abgestellt hätten. Tatsache ist, dass 1999 im Lokal eines türkischen Pächters in der Scheurlstraße ein Sprengsatz hochging. Verletzt wurde ein 18 Jahre alter Angestellter. Die Polizei hat den Fall, den sie der Organisierten Kriminalität zugeordnet hatte, zu den Akten gelegt, diese dann irgendwann vernichtet und sich auch nicht daran erinnert, als der Generalbundesanwalt nach dem Auffliegen des NSU alle infrage kommenden ungeklärten Verbrechen auf dem Tisch haben wollte.

Schultze kramte weitere Bilder hervor und die passen gut zu dem Gemälde, das sich die Anklage vom NSU macht. »Einmal haben wir telefoniert - der Herr Wohlleben - und ich - mit den zweien. Da legte der Herr Wohlleben auf, lachte und sagte: ›Die haben jemanden angeschossen!‹ Schultze sagt, er habe nur gehofft, dass sie das nicht mit der von ihm gelieferten Waffe getan hatten.

Aber genau diese Ceska 83 mit Schalldämpfer haben (vermutlich) die beiden Uwes benutzt, als sie am 9. September 2000 in Nürnberg einen Menschen niedergeschossen. Da kein anderer Mord oder Mordversuch bekannt ist, den der NSU zuvor verübt haben könnte, wird sich das Gespräch wohl um den Überfall auf den Blumenhändler Enver Simsek gedreht haben. Auch der Begriff »angeschossen« trifft zu, denn das vielfach getroffene Opfer rang noch Tage mit dem Tod.

Auch die Raubüberfälle der untergetauchten Jenaer Rechtsextremisten blieben vor dem »Kleenen« nicht verborgen. Bevor der sich mit den drei Kameraden traf, haben die vermutlich neben einem Edeka-Markt auch drei Geldinstitute überfallen. Jedenfalls seien an dem Geld, das er bekommen habe, noch Banderolen dran gewesen. Das muss aus einem Banküberfall stammen, habe er gedacht. Mehr nicht? Mehr nicht!

Sollten sich die Angaben von Schultze als korrekt erweisen, hätte er nicht nur seine Glaubwürdigkeit erhöht und den Ex-Kameraden Wohlleben schwer belastet. Er hätte auch neue Zweifel am Ermittlungseifer und Aufklärungswillen der Behörden gesät.

Schultze hat auch ausgesagt, dass Böhnhardt und Mundlos ihre Prahlereien sofort abgebrochen hätten, als Beate Zschäpe sich hinzu setzte. Das werteten viele Beobachter zunächst als eine Art Entlastung der Hauptangeklagten. Selbst wenn die NSU-Frau von dem »Taschenlampenanschlag« nichts gewusst hat, so kann sie doch in den folgenden Jahren eine tragende Rolle im NSU-Terrornetzwerk gespielt haben. Der gegen Zschäpe gerichtete Vorwurf der Mittäterschaft gründet sich laut Anklage auf Handlungen ab dem Jahr 2000.

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