Putsch, Revolution oder?

Roland Etzel zum Machtwechsel in Ägypten

  • Lesedauer: 3 Min.

Den Militärputsch nicht hinnehmen! Ägyptens Muslimbrüder trugen ihre Wut gestern auf die Straße. Sie treibt der Zorn der Gerechten, denn Mohammed Mursi war nicht nur ihr politischer Exponent, sondern sogar zuerst der vom Volke mit zweifelsfreier Mehrheit gewählte Präsiden; der oberste Militär dagegen ist ein Putschist. Doch warum sind dann die, die seit Tagen Mursis Absetzung feiern, offensichtlich viel zahlreicher auf der Straße als Mursis Anhänger? Die Muslimbrüder beklagen den Bruch der Verfassung - aber wie schwer wiegt dieser Vorwurf, wenn doch der oberste Verfassungshüter die Notwendigkeit dieses Bruches positiv akzeptiert, indem er sich von den »Putschisten« Genannten als Interimspräsident einsetzen lässt? Eine Vermutung lautet: Die Mehrheiten von 2013 müssen nicht die des Wahljahres 2012 sein. Eine andere: Die Freudentänzer von Kairo - zu einem guten Teil Ägyptens Generation Smartphone, sind nicht die Ärmsten und allenfalls eine optische Mehrheit, während die tatsächliche einmal mehr eine schweigende ist.

Darf moralischer Rigorismus in Frage gestellt werden? Ist ein militärischer Staatsstreich immer und in jedem Falle als antidemokratisch abzulehnen? Was, wenn er bessere Bedingungen schafft für das Ringen um Volksherrschaft? Vermeintlich ewige Gewissheiten verlieren doch häufig gerade dann ihr Unfehlbarkeitsmantra, wenn sie den Prüfstand der Tagestauglichkeit zu passieren haben. Die Geschichte bietet Beispiele zuhauf, nur eines davon aus dem nahen Afrika: Zweimal putschte der Offizier Jerry Rawlings in Ghana korrupte Regierungen aus dem Amt - um später die Macht freiwillig in zivile Hände abzugeben. Kann es nicht in Ägypten auch so sein?

Ja, das kann es. Doch nicht ohne Aber, denn es unterstellte ansonsten das generelle Vorhandensein von Gutmenschentum in der Realpolitik - ein Phänomen, das sich desto stärker in Wohlgefallen auflöst, je genauer man hinsieht. Und so können auch Ägyptens Generale keineswegs als die letzten Bannerträger des Altruismus gelten, mag sie die Straße jetzt auch auf Händen tragen. Niemand kann übersehen, dass gerade Kairos Militärkaste wie keine andere auf dem Kontinent die Wirtschaft des Landes im Griff hat, kräftig an ihr verdient und folglich mit großem Argwohn alle politischen Veränderungen verfolgt, die dies gefährden könnten.

Ob ein Umsturz in Erzählungen für die Nachwelt als Putsch gebrandmarkt oder als Revolution veredelt wird, entzieht sich objektiven Kriterien und hat maßgeblich mit dem Standpunkt des Betrachters zu tun. Die Ägypter wollen vor allem, dass sich ihre Lebenslage verbessert, egal wen sie gewählt haben. Ihr Urteil über den Militärcoup wird deshalb heute kaum ein endgültiges sein. So wie gestern Mursi wird sich auch General Sisi nun, da er sich mit seinen Panzern aus der sicheren Deckung der Kasernen aufs glatte politische Parkett gewagt hat, dessen Gesetzen stellen müssen. Sicher ist: Die Ägypter werden ihre Meinung zu dem, was ihre Generäle ihnen da verordnet haben, nicht nach staatsrechtlichen Lehrbüchern richten; nicht nach den eigenen, schon gar nicht abendländischen Vorstellungen. Das ist ihr gutes Recht.

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