Desidentifizierte Männer

»Amphitryon« tobt durchs Amphitheater

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Sie zu ihm: »Was hast du mir gefehlt.« Er zu ihr: »Und ich mir erst!« Kein Wunder nach all dem von den Göttern angezetteltem Doppelspiel. Die da oben hatten mal wieder Langeweile. Sie vergnügen sich nun damit, den Erdbewohnern Streiche zu spielen. Menschen, meinen sie, wollten immer etwas sein. Was glauben die denn, wer sie sind?

Das Hexenkessel-Hoftheater zeigt »Amphitryon« im Amphitheater im Monbijoupark. Ein europäisches Erfolgsstück über Jahrtausende. Der französische Dichter und Schauspieler Molière ließ sich von der Verskomödie »Amphitruo« des römischen Dichters Plautus inspirieren. Vom Franzosen Molière holte sich Heinrich von Kleist die Idee für seine tragikomische Version. Dann wandte sich der Franzose Jean Giraudoux dem Stoff zu. Auch Peter Hacks konnte der erstklassigen Komödie nicht widerstehen. Im Monbijoupark folgt man Molière.

Im Zeichen von Göttern und Gaunern steht dieser Theatersommer unter freiem Himmel. »Volpone oder der Fuchs« wird es als zweites Stück geben. Doch zunächst einmal treiben die Göttlichen ihr Unwesen. Merkur späht sich den Diener Sosias aus und zeigt sich ihm in dessen Gestalt. Kein Mensch glaubt Sosias, dass er einen Doppelgänger hat. Schon gar nicht sein Herr Amphitryon, der ihn nicht nur anbrüllt, sondern in eigener Hilflosigkeit auch auf ihn eindrischt.

Dabei ist er nicht besser dran. Jupiter sprang in Amphitryons Gestalt ins Bett von dessen Frau Alkmene, die sich über das heftige Liebesspiel mit ihrem »Gatten« sehr wundert. Er sei nicht nur Ehemann, sondern auch Geliebter, bekommt sie zur Antwort. Ab jetzt beides in einem. Wie bitte? Sie kontert, er solle doch die Erinnerung an die schöne Nacht nicht mit männlicher Logik kaputt machen. Das passt. Anja Pahl nimmt man die Schlagfertigkeit der Alkmene gern ab.

Jupiter, gespielt von Milton Welsh, lässt die begehrte Alkmene immer neu dahinschmelzen. Sogar Zeilen eines Liebesgedichts von Annette von Droste-Hülshoff bietet er auf »... Ich denke dein im finstern Stadtgewühle. Und in dem Tal, wo nur der Hirte pfeift ...« Nein, da pfeift auch Sosias, will seine Angst vertreiben.

Natürlich glaubt er, Gespenster zu sehen. Wer steht sich schon gern selbst gegenüber. Mit Verve wird das Doppelgängertum vorangetrieben. Die Hexenkessel-Komödianten sind wie geboren dafür. Erstmals unter der Regie von Sarah Kohrs zeigen sie ihr professionelles Spiel, das sie seit Jahren zusammenhält. Kohrs› Verdienst liegt darin, dies klug für ihre 90-minütige Inszenierung genutzt zu haben. Wie den Komödianten auf den Leib geschrieben gibt die komikreiche Molière-Fassung Carsten Golbecks Sprachwitz mit ins rasante Spiel. Samt Wortschöpfungen. Zum Beispiel: Männer werden »desidentifiziert«.

Treppauf, treppab und durch die Publikumsreihen geht es. Matthias Horn verfolgt das ganze Stück über wütend als ahnungslos aus dem Krieg nach Theben heimgekehrter Amphitryon seinen Diener mit dem Knüppel. Vlad Chiriac spielt vorzüglich den Unterjochten. Eine wunderbare, Sympathie bringende Rolle. Den zwischen die Fronten Geratenen verkörperte am Hofe Ludwigs XIV. Molière selbst. Böse Zungen sagten ihm nach, er hätte den König damit auch hochgenommen.

Wie auch immer. Auch jetzt fehlt es nicht an Beleidigungen wie »Du Schauspieler!« - »Das war jetzt gemein!« Der Sommertheaterspaß kann nicht imposanter sein. Roger Jahnke freut sich göttlich als Merkur, nur mit dem Finger schnipsen zu müssen, um Menschen zu manipulieren. Carsta Zimmermann spielt sein von den Späßen der Kerle keineswegs begeistertes Weib Juno und vor allem die Sosias zugetane Clea. Ein selbstbewusstes Weib, das die Götter mit Gesang und Zauber zu beschwören versucht. Am Ende lässt sie sich gern von ihrem wieder einzigartigen Sosias in die Arme nehmen. Siehe oben.

Bis 31.8., Di.-Sa. 19.30 Uhr, Amphitheater, Monbijoustraße 1, Mitte, Tel.: (030) 288 86 69 99, www.amphitheater-berlin.de

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