Detroiter Desaster

Von Gott Mammon verlassen: Die einstige Autohochburg der USA

  • John Dyer, Boston
  • Lesedauer: 3 Min.
Das einst weltweit als »Motorcity« bewunderte Detroit meldet Totalschaden. Die Stadt hat am Donnerstag Bankrott angemeldet und Schutz nach Kapitel neun des US-amerikanischen Insolvenzrechts beantragt.

Detroit, dessen Name jahrzehntelang das Synonym für Amerikas boomende Autoindustrie war, hat in den vergangenen Jahrzehnten knapp 20 Milliarden Dollar Schulden angesammelt. Es kann die Forderungen der rund 100 000 Gläubiger nicht mehr erfüllen. Michigans Gouverneur Rick Snyder genehmigte den Gang der Stadtoberen zum Insolvenzrichter, um »einen Neustart zu ermöglichen«.

Das Verfahren wird in anderen Städten der Vereinigten Staaten scharf beobachtet werden, denn Detroit ist zwar der größte Bankrottfall in den USA, es ist aber keineswegs die einzige von Insolvenz bedrohte Stadt dort.

»Viele werden dies als den tiefsten Punkt in der Stadtgeschichte ansehen«, sagte der republikanische Gouverneur, der erst im März einen Notfallmanager in die Autometropole entsandt hatte. Kevyn Orr aber meldete dem Gouverneur jetzt, dass Detroits Finanzen ohne einen Schuldenschnitt nicht zu retten seien.

Detroit spiegelt die Geschichte der Vereinigten Staaten wieder, die sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in den 50er Jahren auf dem Höhepunkt von Macht und Prestige befanden. Detroit war damals die viertgrößte Stadt der USA, hatte 1,8 Millionen Einwohner, war der einzige Sitz und wichtigster Produktionsstandort der »großen Drei« General Motors, Ford und Chrysler. Heute - jüngste Erhebungen sind von 2010 - hat Detroit noch 700 000 Bewohner, 83 Prozent davon sind Afroamerikaner. Die Arbeitslosenquote liegt mit 15 Prozent doppelt so hoch wie der nationale Durchschnitt und dreimal so hoch wie noch 2000.

Detroit gilt als eine der gefährlichsten Städte in den USA. Das liegt auch daran, dass die Polizei bei Notrufen durchschnittlich eine Stunde braucht, um am Einsatzort zu sein. Der US-Durchschnitt liegt bei elf Minuten. Durch Haushaltskürzungen ist die Polizei unterbesetzt, sind ihre Fahrzeuge großteils nicht einsatzbereit. Dasselbe gilt für die Feuerwehr. 40 Prozent der Verkehrsampeln funktionieren nicht mehr. 78 000 Wohnhäuser der Stadt stehen leer.

Der Bankrott von Detroit kam nicht über Nacht. Motorcity hat seit Jahrzehnten Geld geborgt, um seine laufenden Ausgaben zu decken, angesichts rückläufiger Einnahmen aufgrund der sinkenden Bevölkerungszahl. Der Niedergang der Autoindustrie und Rezessionen haben die Finanzen der Stadt zerrüttet. General Motors hat zwar noch immer seinen Hauptsitz in Detroit. Aber die Produktion wurde von GM wie den anderen Firmen ausgelagert, die Zulieferer wanderten entsprechend ab. Ausländische Autohersteller siedeln sich ohnehin lieber in den Südstaaten an, wo sie es meist nicht mit so schlagkräftigen Gewerkschaften zu tun haben wie in Detroit. Finanzprofessor Eric Scorsone benennt den Kardinalfehler der Detroiter: »Es war eine Eine-Industrie-Stadt«, anders als New York oder Chicago mit einer weit gefächerten Wirtschaft.

Detroits Bankrott ist der größte einer Gemeinde der USA, gefolgt von Jefferson County in Alabama mit vier Milliarden Dollar 2011.

Der Insolvenzrichter muss jetzt nach Kapitel neun des Insolvenzrechtes versuchen, mit der Stadt und ihrem vom Gouverneur eingesetzten Notverwalter sowie den Gläubigern einen teilweisen Schuldenerlass auszuhandeln, damit die Stadt wieder in Fahrt kommt. Er kann aber keine Auflagen machen, etwa den Zoo oder Gemälde in Museen zu verkaufen. Die US-Verfassung verbietet es der Bundesebene, der lokalen Ebene solche Vorschriften zu machen. Auf Unterstützung von der US-Regierung kann Detroit nicht hoffen. Die Schwierigkeiten müssten am Ort gelöst werden, erklärte eine Sprecherin von US-Präsident Barack Obama.

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